Oder: „Wie man kleine Ziele verfolgt,
dabei aber die größere Hauptaufgabe verpasst.“
Thích Thanh Từ
Namo Sakyamuni Buddha
Das
Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist ein sehr bescheidenes,
alltagsnahes Thema: Als Erdbewohner sind wir alle – mehr oder weniger – im
Unklaren und verblendet, daher irren wir uns oft. Inwiefern? Wir wenden
all unsere Kräfte für wenig bedeutsame, sogar völlig unbedeutende Dinge
auf. Dagegen schenken wir den für uns äußerst entscheidenden,
lebenswichtigen Aufgaben wiederum keinerlei Beachtung, wir
vernachlässigen oder ignorieren sie sogar. Dies werde ich, zum Nutzen
aller Anwesenden, im Folgenden nach und nach veranschaulichen.
Zunächst existieren im Alltag drei vordergründige Bedürfnisse – beispielsweise:
das Essen, das Trinken und die Atmung. Um welches kümmern wir uns am
meisten? Natürlich, normalerweise um das Essen. Von morgens bis abends
ein und dasselbe: was wollen wir essen? Wenn wir es einmal genauer
betrachten, stellen wir fest, dass wir auch nach Tagen ohne richtiges
Essen noch nicht gestorben sind. Als nächstes das Trinken. Erst nach
einem ganzen Tag, an dem wir nicht getrunken haben, sind wir richtig
erschöpft und erst nach mehreren Tagen können wir sogar sterben. Wie
lange können wir es dagegen aushalten ohne zu atmen? Ein paar Atemzüge
etwa? Eigentlich verläuft das Leben von Sekunde zu Sekunde. Sobald wir
einmal den letzten Atem ausgestoßen haben – für den Fall, dass wir nicht
mehr in der Lage sind, selbst einzuatmen – ist der Tod schon sehr nah.
Trotzdem dominiert bei den Leuten die Ignoranz und man fixiert sich so
sehr nur auf das Essen und Trinken, so dass sie die Atmung völlig dem
Unterbewusstsein überlassen. Eines ist klar: für die vordergründigen
Dinge vernachlässigen wir etwas äußerst Wichtiges. Wir verbrauchen all
unsere Kräfte für weniger bedeutsame Dinge. Ist dieser Irrtum somit
nicht bedauernswert?
Nun
zum nächsten Aspekt: Körper und Geist. Hier sind der physische Leib und
das geistige Bewußtsein insgesamt gemeint. Welches der beiden ist
wichtiger? Um welchen von beiden haben wir uns am meisten gekümmert?
Eher mehr um den physischen Leib. Der wird richtig fein gepflegt und
herausgeputzt, aber um den Geist kümmern wir uns dagegen nicht so
sehr. Tendenziell putzt der Mensch mehr seine äußerliche, körperliche
Fassade blank. Der geistige Teil aber wird oft 'versehentlich' vernachlässigt, obwohl dieses 'geistige Oberhaupt' immerhin den ganzen
Körper steuert. Wenn wir z.B. aus dem Haus auf die Straße gehen wollen,
überlegen wir zuerst und dann gehen wir. Der Geist arbeitet immer im
Voraus und ist dafür zuständig, ob wir gehen oder nicht. Das gilt ebenso
für sämtliches absichtliches Vorgehen und vorausschauende Planungen
aller Art. Es wird immer zuerst der Geist in Gang gesetzt, erst dann
folgt die Ausführung. Trotz dieser Tatsache spielt für uns der
Befehlsinhaber, der alles plant und in Gang setzt, neben dem
körperlichen Aspekt nur eine untergeordnete Rolle.
Stellen
wir uns einmal selbst folgende Frage: Selbst wenn dieser Körper von uns
voll versorgt werden würde, könnte er aber ewig für uns existieren?
Ganz unabhängig davon, wie gut wir ihn versorgen, es ist nicht zu
verhindern, dass er bald und unaufhaltsam zerfällt. Leidenschaftlich
sorgen wir für ihn: mit Haus, Grundstück, Geld, Schmuck, voll gestopften
Kleiderschränken, usw. Aber alsbald kommt der Tag, an dem sich unsere
Augenlider für immer schließen. Existieren dann all diese Dinge für uns
immer noch? Oder verliert das alles auf einmal seinen Sinn? Wo liegt der
Sinn, mit so viel Kummer und Leid heute für die Dinge zu sorgen, welche
morgen unaufhaltsam verloren gehen? Trotz allem, wir lassen uns aber davon
nicht beeindrucken und jagen weiterhin Tag und Nacht solchen Dingen
hinterher und vernachlässigen dabei den eigentlichen 'Befehlsinhaber',
den 'Motor', der alles nach vorn treibt und steuert. Es ist uns völlig
egal, wir lassen uns treiben, egal wo wir dabei landen. Sind wir
eigentlich noch ganz bei Trost? Das Ganze ist ein leicht zu
überschauendes Thema und gerade deshalb sollten wir unser Augenmerk
darauf richten, denn wir benötigen tiefgründige Einsicht, damit der Irrtum
sich verringert oder vermieden werden kann.
Angenommen – der geistige, psychische Teil, das Seelische, das Geist-Bewußtsein
allgemein, usw. – all dies ist eine Kristallisation des Selbst, des
Wesens unserer Person und was uns ausmacht. Angenommen es besitzt eine
unbestritten führende Funktion, plant unser ganzes Leben und übernimmt
die Führung. Dann wäre es recht, wenn wir alles Erforderliche dafür täten, dass sich Güte verkörpert, damit darüber hinaus eine ehrwürdige,
transzendentale, erhabene 'Position' des Geistes möglich wird. Dann
wäre es auch recht, dass dieser körperliche Leib eine genügsame und
etwas bescheidenere 'Verpflegung' genießen würde als der geistige.
Leider handeln wir jedoch oft umgekehrt. Dies sind Irrtümer und Fehler
der meisten Menschen.
Nun
reden wir über einen multidimensionalen Begriff: 'Tu' [vietn.] das bedeutet hier
zunächst etwa soviel wie 'spirituelle Praxis', 'praktizierend', ferner 'Wartung', 'Instandsetzung', 'Restaurierung', 'sich selbst ausbessern' usw. [Anmerkung der
Übersetzer: Der Begriff 'Tu' beschreibt hier vordergründlich eine
lebenslängliche Zen-Praxis in allen Bereichen]. Und was könnte alles unter 'spiritueller Praxis' zu verstehen sein? Für die meisten buddhistischen Laien
in neuerer Zeit bedeutet 'Tu' zunächst 'vegetarisch zu sein', außerdem 'Buddha-Niederwerfungs-Praxis'. 'Vegetarisch sein' und 'Niederwerfung' gehören
immerhin zum äußerlichen, leiblichen, körperlichen Aspekt, wobei aber der 'Befehlsinhaber, das Oberhaupt' dabei unberührt bleibt. Dies ist ein Praxisweg,
bei dem man dazu neigt, alles in äußerlichen 'Verdiensten' umzuwerten, bei dem
man ein 'Spar-Guthaben' 'ansammeln' kann. 'Tu' - die 'spirituelle Praxis' - meint
daher auch viele andere Wege.
Wenn
für uns das geistige Thema von Bedeutung und ein wesentliches
Anliegen ist, wenn wir uns schon über unseren Geist- und Selbst-Veredelungsprozess Gedanken machen, damit er klarer, edler wird, dann
ist ein 'introvertierter Rückblick' höchst wichtig, um zuerst das eigene
Selbst gründlich betrachten zu können. Es gibt niemanden hier, der sich
nicht darüber bewußt ist, dass Gier, Zorn und Unwissenheit, etc. etwas
Negatives sind, dass man diese gern verändern würde, oder? Sicher,
bewußt sind sich alle, nur aufrichtig davon Abschied nehmen, will
keiner. Daher hat der Buddha uns gezeigt, wie verblendet die Lebewesen
sind, aber eben auch, wie würdevoll sie sind, des Mitgefühls würdig. Ein
bildhaftes Beispiel mitten aus dem Alltag: Wir kennen viele Leute, die
von der äußerlichen Erscheinung her so lieblich und gelassen aussehen,
folglich stellen wir uns vor, dass sie noch nicht mit einer kritischen
Situation in Berührung gekommen sind. Aber schon bald, wenn sie in einen
unerwünschten, ärgerlichen Vorfall verwickelt sind, bricht hitziger
Zorn bei ihnen aus. Nicht nur nicht einsehend, dass ihr Zorn als
Umgangsform an sich immer falsch ist, sondern vielmehr, um ihre
Reaktion zu rechtfertigen, begründen sie auch noch, weshalb sie zornig
geworden sind. Wenn wir Zorn dulden, ihn verteidigen, wann und wie
könnten wir dann noch von ihm Abschied nehmen bzw. ihn aufgeben oder
loslassen?
Es gibt wenige Menschen, die bei ihrem eigenen unkontrollierten Zorn einsichtig sind und ihn konstruktiv als Fehler zugeben. Oder sogar mutig aussprechen: „Das ist mein Fehler! Das Ganze hätte ich mir sparen können. Ich schäme mich dafür, es tut mir sehr leid.” Nicht bereit zu sein, den eignen Fehler als solchen zu akzeptieren und darüber stillzuschweigen, ist auch eine Art verborgene Absicht, sein Fehlverhalten auf das Gegenüber zu schieben und damit anzudeuten, dass nur er selbst eigentlich Recht hat. Die Folge ist, dass der eigene Zorn nie repariert oder aufgegeben wird.
Auch der Praxisweg, wo der Geist im Mittenpunkt steht und
geschult, gefiltert, befreit wird von getrübten Illusionen, damit er immer
klarer und reiner wird. Von den genannten zwei Wegen ist der zweite erheblich
wichtiger. Der Geist ist der ‚Generalbefehlshaber‘. Wenn er so gut geschult
wurde, um selbstständig weise Entscheidung zu treffen, spiegelt sich dieser innerliche Friede folglich auch im
Körper, in der Sprache und allem Anderen
wider und strahlt diesen nach außen aus. Dies fördert, dass das Leben edler,
sinnvoller und erhabener gestaltet wird. Wenn die Praxis in Richtung bloßen
Glauben geht bzw. ein gegenseitiges Bedingen zwischen 'materiellem Lohn und
Verdiensten' und 'Geber und Nehmer' hervorbringt, dann schwebt hier scheinbar
die Vorstellung mit, dass sich 'materielle Verdienste' auch entsprechend 'vermehren' lassen bzw.
eine verlockende 'Gutschrift' gutgeschrieben werden kann. Wenn der Geist noch
voller illusorischem 'Abfall' ist und durch Leiden belastet wird, können wir
kaum Schritte unternehmen, um an die Wurzel der Unwissenheit vorzudringen. Und
die große Aufgabe, bei der die Rede ist von 'Werdung' und 'Befreiung', 'Entfesselung', sich aus den Fesseln des Kreislaufs von Leben und Sterben zu befreien,
usw. ist noch weit weg entfernt, völlig ungewiss und unlösbar. Dies ist eine
sehr wichtige Angelegenheit. Um eine klare Vorstellung zu gewinnen, sollen die
Praktizierenden sich damit tiefgründlich auseinandersetzen.
Es gibt wenige Menschen, die bei ihrem eigenen unkontrollierten Zorn einsichtig sind und ihn konstruktiv als Fehler zugeben. Oder sogar mutig aussprechen: „Das ist mein Fehler! Das Ganze hätte ich mir sparen können. Ich schäme mich dafür, es tut mir sehr leid.” Nicht bereit zu sein, den eignen Fehler als solchen zu akzeptieren und darüber stillzuschweigen, ist auch eine Art verborgene Absicht, sein Fehlverhalten auf das Gegenüber zu schieben und damit anzudeuten, dass nur er selbst eigentlich Recht hat. Die Folge ist, dass der eigene Zorn nie repariert oder aufgegeben wird.
Der
Mensch verhält sich tagein, tagaus so widersprüchlich. Vor Buddha wirft
man sich nieder, schluchzend und schmatzend betend, so
leidenschaftlich, bis Dampf aufsteigt: "Segne mich! Segne Hab und Gut“.
Gib mir Glück!" Man wünscht sich viel Klarheit, Reinheit und alles, was
diesseits und jenseits des Weltlichen noch zu wünschen ist. Aber ein
wenig von seinen destruktiven Charakterzügen ablegen will man doch noch
nicht richtig. Dies ist eine Realität und dies betrifft sehr viele Menschen, die scheinbar noch keine klare Linie gefunden haben. Der Zorn ist
aber immer noch oberflächlich und lässt sich leicht erkennen. Gier,
Begierde und verblendete Unwissenheit dagegen sind latent und viel
tiefer verborgen und daher noch schwieriger zu beseitigen. Der von
Begierde geprägte Mensch ist bodenlos. Niemals macht seine Geld-Gier
halt, er will immer mehr und noch mehr. Gier und Begierde werden somit
niemals gestillt und man fühlt sich niemals gesättigt.
Gier
und Zorn halten wir für zwei völlig verschiedene Dinge, die nichts
miteinander zu tun zu haben scheinen. In Wirklichkeit ist die Gier der
Vater des zornigen Sohnes. Zuerst befassen wir uns mit der äußeren
Fassade der Gier und ihren Objekten, die wir noch nicht besitzen. Ein
Beispiel: Auf dem Markt verlangt ein Verkäufer für seine begehrte Ware
500 Taler. Wir haben ihn mühsam bis auf 300 herunter gefeilscht. Da
taucht plötzlich jemand auf und bietet 301 Taler für die Ware. Vor
unserer Nase verkauft der Verkäufer seine Ware sofort an den höheren
Bieter. Daraufhin werden wir wütend und zornig. Eines ist klar: Der Zorn
entfaltet sich aus der Gier und Begierde heraus, anders ausgedrückt: die Gier ist der Keim, aus dem der Zorn wächst. Was ist mit den
begehrten Objekten, die in unserer greifbaren Umgebung liegen? Die wir
schon besitzen, sehr schätzen und lieben, dann jedoch auf einmal
verloren gehen? Wie groß können dann Trauer und Zorn erst sein?
Noch
ein Beispiel: Wir haben gerade eine sehr teure seltene Porzellanvase
gekauft und unser Enkelchen hat sie einfach so auf den Boden fallen
lassen. Im Nu ist die Vase in tausend Stücke zersplittert. Wir sind
fassungslos, wütend, zornig und schreien, schimpfen endlos herum. Dieser
hitzige Zorn resultiert aus der Gier nach dem begehrten Hab und Gut.
Hab und Gut, das wir gern hätten, für uns behalten wollen. Wenn dies
einfach verloren geht, ist die Enttäuschung riesig, folglich brechen Wut
und Zorn aus und wir leiden dann. Wir können demnach sagen, dass
sämtliche Wut und jeglicher Zorn durch die Gier gestiftet und verursacht
werden. Wir alle wollen gelobt und geehrt werden, ehrenvollen Ruhm
erlangen. Wenn wir aber nur das Gegenteil, wie Tadel und Kritik ernten,
können wir darauf richtig zornig reagieren. Wo die Gier nach Ruhm,
Vorteil, Macht, Schönheit und vieles mehr nicht entsprechend erfüllt
wird, herrscht Unzufriedenheit, die zu Neid und Zorn führt und bald in
Hass endet. Aber die Gier wird von der verdunkelnden Unwissenheit
gesteuert und erwächst aus ihr heraus.
Ob
wir wollen oder nicht: mit jedem Tag, der vergeht, verringert sich auch
das Leben dieses leiblichen Körpers unaufhaltsam. Das Leben ist
unbeständig und vergänglich: Heute sind wir noch am Leben, aber so
sicher ist das Morgen schon nicht mehr. Jemand, der die Unbeständigkeit
aller Phänomene bereits tiefgründig erkannt hat, besitzt schon zu
einem großen Teil die rechte Einsicht, dass alle Phänomene immerwährend
in Bewegung sind und sich in ihrer Existenz gegenseitig bedingen. Es ist
auch eine reale Wahrheit, die wir ganz persönlich bitterlich erfahren:
Jedes Ausatmen könnte das letzte sein, wenn anschließend kein Einatmen
mehr folgt – dahinter lauert bereits der Tod. Eine Garantie, dass unser
Leben hundert Jahre andauern wird, gibt es nicht. Und dennoch, wenn
jemand darauf hinweist, dass unser Leben kurz und flüchtig ist, wollen
wir nie hinhören, wir reagieren traurig bis zornig darauf. Dagegen
freuen wir uns über Wünsche, dass wir die 'Hundertjahr-Marke' erreichen
mögen, sehr. Wie kann man diese Haltung noch anders nennen, als eine
Selbsttäuschung?
Wir
'ernähren' uns im Leben so oft mit imaginären, illusorischen Träumen
und Wünschen, die ganz und gar irreal und nicht realistisch sind. Die
Ursache dafür ist die Unwissenheit. Wenn jemand der Meinung ist, dass
unser Leben flüchtig und kurz ist, wissen wir, dass er Recht hat. Wenn
das Leben an sich von jedem einzelnen Atemzug abhängt, wie kann man so
ignorant sein und es nicht als kurz und flüchtig, wie es ja tatsächlich
ist, bezeichnen? Wenn wir die Dinge sehen, wie sie sind, werden wir
einfach darüber lächeln. Es wird keine Trauer, kein weiterer Zorn nötig
sein. Weil wir aber noch keine Weisheit erlangt haben, wollen wir
weiterhin in imaginären Illusionen leben. Auf Tatsachen reagieren wir
dann aggressiv und verursachen somit alle Arten von Gier, Hass, Neid und
Leid, usw., welche unseren Wahren Geist verdunkeln.
Diese
verblendete Sichtweise, dass das Hundert-Jahre-Leben von Dauer ist,
nehmen wir so unbedacht und leichtfertig ein, dass wir all unsere
Kraft, über die wir verfügen, einsetzen, um Bauwerke des Lebens – eines
nach dem anderen – zu errichten. Und so geht es immer weiter, bis zum
letzten Atemzug scheint noch kein Ende in Sicht. Jahrzehnt um Jahrzehnt,
das uns zur Verfügung steht, begraben wir komplett mit der Sorge um die
äußerlichen, materiellen Dinge. Wir wollen nicht mehr wissen, ob unser
Geist noch rein ist oder längst getrübt, verdunkelt worden ist. Statt
für die Vervollkommnung des Geistes, für einen reinen Charakter zu
sorgen, jagen wir nur provisorischen, temporären Erscheinungen und
Erlebnissen hinterher.
Für
unser momentanes Leben haben wir geschuftet, uns alles angeschafft und
aufgebaut. Wir fixieren uns so sehr darauf, dass ein Loslassen nicht
mehr möglich ist. Falls jetzt alles auf einmal auf der Strecke bleiben
würde, weil wir vielleicht schon jetzt das Leben für immer verlassen
müssten, dann würde Trauer, Enttäuschung und unerfüllte Begierde so
gigantisch groß und sehr schmerzhaft sein. Wir sehnen uns so sehr nach
materiellen Dingen und fixieren uns weiterhin so sehr darauf. Und gerade
das ist der Grund, dass wir willentlich und zugleich gezwungenermaßen
nochmals und immer wieder zurückkehren und uns der Wiedergeburt
unterwerfen. Daher belehrt uns der Buddha, dass die Unwissenheit die
Ursache der Wiedergeburt ist. Durch die Unwissenheit verzerren wir
unsere Sichtweisen und verblenden sie immer weiter. Wir haben
verblendete Sichtweisen über das Leben, über Ruhm und Anerkennung, über
Schönheit, u.a. Weil wir uns eingebildet haben, dass wir hübsch, klug, usw. sind, können wir uns schon sehr beleidigt und wütend fühlen, falls
jemand eine andere Meinung hat und sagt, dass wir doch greisenhaft und
dumm seien. Wir bilden uns selbst so oft und so gerne ein, dass wir
hübsch, edel und klug sind. Sind wir wirklich hübsch? Wirklich edel?
Wirklich klug usw.? Wirklich das, was wir uns über uns selbst gerne vorstellen? Es gibt keine Garantie dafür, dass es wirklich wahr ist,
absolut keine Garantie! Dennoch, freuen wir uns über ein Lob,
aber Kritik können wir nicht ertragen. Das ist ein Grund, weshalb die
Menschheit das permanent wiederkehrende Leid, immer wieder ertragen
muss, weshalb sie sich nicht selbst entfesseln und befreien kann.
Wenn
wir jetzt doch anerkennen, dass das Wesen des 'Lebendig-Seins' dieses
leiblichen Körpers an sich doch unbeständig und vergänglich ist; wenn
wir jetzt erkennen, dass das 'Ich' als Ganzes aus unzähligen, einzelnen
Nicht-Ich-Elementen besteht – so wie aus mehreren Strohhalmen ein ganzer
Strohballen gebildet wird –, dann würde die Wichtigkeit eines kleinen
'Ich', welches nur ein kleiner Teil des Ganzen ist, nicht mehr so
übermäßig groß sein, wie wir es uns gern vorgegaukelt hatten. Dann
würden auch der subtile falsche Stolz und die latente, üble
Überheblichkeit keinen Halt mehr finden. Erst dann sind wir mit
Konsequenz und Entschlossenheit auf der Suche nach einem 'wahren Wert',
der über die erstgenannten hinausgeht. Erst dann kümmern wir uns darum,
was für uns die entscheidendere Sache, für die wir eigentlich viel Mühe
investieren sollten, ist und entsagen dem, dem man eigentlich entsagen
sollte.
Wir
fassen drei Aspekte kurz zusammen:
Dieses im Sinn zu behalten, hilft uns, uns besser auf die 'Tu' ['die Praxis'] zu konzentrieren. Es hilft uns, unseren Geist aufrichtig zu reinigen. Nachdem unser Körper und unser Geist im Einklang miteinander stehen und reiner und klarer geworden sind, werden wir widerstandsfähig und unerschütterlich gegenüber allen Verwirrungen und Unruhen, samt äußerlichen materiellen Verführungen dieses weltlichen Daseins. Sie können uns nie mehr wieder hierhin und dorthin ziehen oder mitreißen. Dies ist eine erfahrbare, wahre Realität.
- Das Leben hängt an jedem Atemzug.
- Dieser Körper ist von temporärem, provisorischem Charakter und darf in seiner Bedeutung nicht etwa erstrangig werden.
- Wir sind noch mit sehr vielen eigenen Fehlern behaftet, die noch auf eine Reparatur warten.
Dieses im Sinn zu behalten, hilft uns, uns besser auf die 'Tu' ['die Praxis'] zu konzentrieren. Es hilft uns, unseren Geist aufrichtig zu reinigen. Nachdem unser Körper und unser Geist im Einklang miteinander stehen und reiner und klarer geworden sind, werden wir widerstandsfähig und unerschütterlich gegenüber allen Verwirrungen und Unruhen, samt äußerlichen materiellen Verführungen dieses weltlichen Daseins. Sie können uns nie mehr wieder hierhin und dorthin ziehen oder mitreißen. Dies ist eine erfahrbare, wahre Realität.
Schauen
wir genauer hin: Die äußerliche Hülle, welche die leiblichen Inhalte
dieses Körpers zusammenhält, ähnelt eher einem stinkenden Hautsack oder
einem halb zugedeckten Nachttopf. Falls jetzt jemand uns mit
zugehaltener Nase entgegenkommt, können wir ja sagen: „Na bitte, dann
mach doch den Weg für den Nachttopf frei!”. Somit ersparen wir uns eine
Menge vermeidbares Leid. Wenn wir uns von einer solchen Beleidigung
nicht beeindrucken lassen, müssen wir ja auch nicht mehr soviel leiden,
wie es sonst der Fall wäre. Daraus gewinnen wir die Einsicht, dass wir
seit langem mit falschem Hochmut gelebt haben, welcher durch die
Selbstverblendung verursacht worden war. Wenn wir jetzt ernsthaft den
Mut entwickeln, uns mit der Wahrheit zu konfrontieren, um die Dinge so
zu sehen, wie sie sind, wird unsere Sicht erst frei von Verblendungen
sein und wir werden dann das Leben erst richtig gelassen nehmen. Wir
haben festgestellt, dass Verblendung Gier verursacht und Gier Zorn
entfacht. Diese Drei sind Gifte, welche wir nicht mehr weiterhin
einnehmen dürfen, sondern wir sollten uns mit Entschlossenheit davon
trennen.
Wir
haben aber eine chronische Krankheit: Wir wissen sehr wohl, dass wir
eine Menge gravierender Fehler haben, bringen aber nicht genügend Mut
und Selbstvertrauen auf, um uns von diesen Krankheiten allesamt mit
einem Mal an Ort und Stelle zu trennen. Wir versprechen, uns irgendwann
einmal dafür Zeit zu nehmen, uns irgendwann einmal damit zu
beschäftigen. Andererseits wollen wir aber auch so schnell wie möglich
die Große Erkenntnis, die Buddhaschaft und so weiter, sofort erlangen.
Bemerken wir dabei nicht etwas Bedenkliches? Dass wir nicht nachgefragt
haben, wie dies alles überhaupt möglich sein soll? Warum? Weil bei
unserer Praxis der Einsatz von Weisheit obligatorisch benötigt wird, um
bei allen Phänomenen immer die Wahrheit ihres Wesens zu sehen, so wie
sie sind. Alles, was als illusorisch erkannt wird, wird erneut
transformiert, damit die Wurzel der Verblendung von Beginn an
vollständig durchtrennt wird und somit dem Leid ein Ende gesetzt
werden kann. Wenn wir aber nicht mutig sind und uns zutrauen, auf die
eigenen Fehler frontal zu schauen, ihnen den Abschied zu erklären, wie kann
da von der Gelassenheit des Geistes die Rede sein? Und abgesehen davon,
wann erfolgt die Befreiung? Es versteht sich von selbst, dass diese
auch noch fern bleiben wird.
Sorge
und Leid kommen nicht etwa einfach so aus der Luft oder sonst irgendwo
her, die Ursache besteht im Wesentlichen darin, dass in unserem Geist
noch keine Klarheit herrscht und dass wir noch nicht über Weisheit
verfügen. Manche haben flüchtig mitbekommen, dass der Buddha gelehrt
haben muss, dass das Leben 'leidvoll' sei, dass der Körper vergänglich
ist und dergleichen mehr. Sofort sind sie der Meinung, dass Buddhas
Sichtweisen pessimistisch seien. Diejenigen ahnen nicht und sind sich
nicht bewußt darüber, dass man gerade dadurch, durch eine solche
tiefgründige Einsicht, einen ungeahnten Horizont eröffnet. Danach
öffnet man unzählige Tore, man löst unzählige Knoten, so dass das Leid
einen nicht mehr andauernd verfolgen kann. Dieser Einsicht stimmt zwar
der Mensch zu, doch als wahr will sie keiner anerkennen. Daher weitet
sich das Leid zur Lebenskatastrophe aus, dieses Leben hindurch, bis zum
nächsten Leben. Keines gleicht dem anderen; scheinbar wollen Sorge und
Leid nie aufhören, uns heimzusuchen.
Versuchen
wir einmal, tiefgründig über folgendes nachzusinnen: Vom reichsten bis
zum mittellosesten Mensch auf dieser Erde - gibt es irgendwen, der ganz
und gar nicht leidet? Oder jemanden, der ausnahmslos nur Glück und
Freude genießt? Genauer betrachtet, kommen wir zu dem Schluss, dass in
der Realität jeder auf seine Art mehr oder weniger leidet. Bei dem einen
ist es wegen der Armut und kargen Lebensbedingungen, bei dem anderen
wegen der Einsamkeit, bei einem weiteren ist es wegen brüchigen
familiären Beziehungen, allen Arten von Unzufriedenheit und so weiter
und so fort. Jeder trägt sein eigenes Leid, bei keinem ist das Glück
vollkommen. Aber sobald der Buddha sagt, dass das Leben 'leidvoll' sei,
erwidert man skeptisch, dass der Buddhismus so pessimistisch sei.
Eindeutig, der Mensch neigt oft dazu, jeden Umweg zu finden, um der
Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen.
Erst
wenn wir fähig sind, uns direkt mit der Wahrheit zu konfrontieren,
gewinnen wir daraus das Selbstvertrauen und die Tapferkeit, um vorwärts
zu kommen. Stets bedenkend, dass das Leben unbeständig und vergänglich
ist, wird uns sehr behilflich dabei sein, uns an Folgendes zu erinnern:
die Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, sollten wir stets sinnvoll
nutzen. Die Zeit ist wirklich wertvoll für die Praxis, um das üble,
egoistische Selbst abzulegen. Wenn wir uns stets daran erinnern, dass
dieser leibliche Körper so flüchtig ist, dass er an jedem Atemzug hängt,
dann wird die Begierde schnell verfliegen und auch nicht mehr so
brennend sein. Wenn wir uns daran erinnern, dass, falls wir diesen
leiblichen Körper nicht entsprechend pflegen, er in sehr kurzer Zeit so
sehr stinken wird, dass wir uns selbst nicht mehr riechen können, wird
sofort die Überheblichkeit eines üblen 'Ich-Stolzes' in weiter Ferne
gehalten. Je erfolgreicher wir mit der Verabschiedung bzw. Loslassen von üblem Ballast sind, desto leichter können wir zu uns selbst
zurückkehren – dem realen, wahren Leben. Dieses ist die Kontemplation
derjenigen Personen, welche schon über die ersten Knospen der klaren
Weisheit verfügen.
Ein
wesentlicher Bestandteil von 'Tu Thiền' / der 'Zen-Praxis' ist, dass
wir immer auf der Hut sind und stets dem Geist Vorrang einräumen, ihm
die beste Möglichkeit bieten, Weisheit zu entwickeln. Ganz egal, wie
viele Schönheits- und Wohlfühlmaßnahmen wir für unseren Körper
betreiben, wir können nicht aufhalten, dass auch er zur Neige gehen und
unaufhaltsam zerfallen wird. Aber hier scheint die Vergesslichkeit immer
noch präsent zu sein. Wir wenden alle Kraft, die wir haben auf, um
alles dafür zu tun, von diesem leiblichen Körper immer noch mehr zu
profitieren – alles, allen Gewinn aus ihm zu ziehen, der vorübergehend
noch möglich ist. Wir wollen gar nicht mehr wissen, wie mühsam wir uns
gerade noch angestrengt haben, um etwas zu bekommen, für uns zu
gewinnen, das wir schon bald wieder verlieren oder von dem wir uns bald wieder trennen. Wie es dabei um das Schmieden der Weisheit aussieht,
vernachlässigen wir ganz. Die meisten der Laien-Buddhisten kommen mit ihrer eigenen Sichtweise und Erwartung zur Buddha-Lehre, zum
buddhistischen Tempel. Und zwar nur dafür, um für irgendwelche großen
Wünsche für sich und ihre Verwandten zu beten. Scheinbar wollen sie
nichts anderes, als jetzt oder vielleicht sogar im nächsten Leben, ein
noch besseres, wohlhabenderes Leben und besseres Äußeres. Körperlich,
geistig und materiell, alles soll irgendwie mehrfach schöner als das
Jetzige sein, man will etwas erleben, besitzen oder am besten: Wünsche
aller Art sollen restlos in Erfüllung gehen. Es scheint, dass die
Motivation ihrer Praxis einerseits nur gerade so hoch ist, dass sie sich
bloß nicht richtig mit der Wahrheit konfrontieren müssen und ihr schon
gar nicht ihr ins Gesicht schauen müssen. Andererseits wollen sie sich
nicht wirklich von ihrer Unwissenheit und Verblendung trennen. Somit ist
für diejenigen, bei denen einst die Rede war von Erleuchtung und
Befreiung, etc., diese in weite Ferne gerückt, ist etwas völlig Unbekanntes,
wenn nicht gar ein längst unerwünschtes Thema geworden und in
'Vergessenheit' geraten.
Daher
versuchen wir mit einem sinnbildlichen Beispiel einen wesentlichen Teil von 'Tu' / der 'internen Zen-Praxis' zu verdeutlichen: Unser Geist
gleicht trübem Wasser in einem Kristallkrug, das wir filtern sollten,
damit es klar wird. Nach einiger Zeit der geduldigen und mühsamen
Beruhigung des Wassers im Krug sinken alle Schmutzpartikel auf den
Boden und das Wasser wird kristallklar. Das Wasser ist nun zwar
kristallklar, aber die Schmutzpartikel sind noch auf dem Boden
abgelagert; falls das Wasser jetzt wieder aufgewühlt werden würde, würde
es wieder so trüb werden wie vorher. Daher, wenn wir also nicht wollen, dass
das klare Wasser bald wieder getrübt wird, müssen wir das klare Wasser
in einen anderen Krug hineinfiltern und die Schmutzpartikel
anschließend weggießen. Genauso ist es hier: die Gier, der Hass und die
Verblendung sind die Partikel, die unseren Geist trüben und verdunkeln.
Wir müssen Geduld haben und immer zunächst unserem Geist die
Möglichkeit geben, zur Ruhe und Stille zurückzukehren, damit wir
deutlich erkennen können, wie die 'Schmutzpartikel' sich tagein, tagaus
deutlich vom 'klaren Wasser' absetzen bzw. zu Boden sinken. Danach
hilft es nur, sie für immer 'wegzuschütten', damit unser Geist von
Klarheit überflutet wird und somit auch das Leid keine Möglichkeit mehr
hat, seine Schatten zu verbreiten. Solange der Geist immer noch getrübt
und verfinstert bleibt, solange ist auch der Tag, an dem wir hoffen,
uns vom Leid trennen zu können, ungewiss. Das ist ein sehr wichtiger
Punkt.
Wir
besitzen zwei Arten von geistigen Dimensionen: Der eine Geist ändert
sich ständig, er ist der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit
unterworfen. Der andere ist der Wahre Geist, der kontinuierlich in
reiner Klarheit erstrahlt, der nicht der Unbeständigkeit und
Vergänglichkeit unterworfen ist. Wenn wir jetzt etwas Boshaftes denken,
wird dieser instabile Geist am laufenden wieder in Bewegung gesetzt und
unaufhörlich verändert oder wird er für immer seinen Zustand behalten?
Ein Beispiel: Heute hatte uns jemand beleidigt, darauf haben wir zornig
reagiert, das führte zu einem getrübten geistigen Zustand. Nach
einiger Zeit tut uns derjenige sehr viel Gutes, darüber freuen wir uns
und mögen ihn wieder. Hier kommt der instabile, bedingte Geist zum
Tragen, der dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist. Er ist nicht
statisch und unveränderlich, sondern ändert sich je nach Umständen und
Situationen. Wenn die Umstände/Bedingungen für ihn 'günstig' erscheinen,
ist er 'gut', anderenfalls kann er auch 'schlecht' sein. Wenn er also bedingt ist, kann er auch nicht 'das Wahre Ich' sein. Daher gibt es
niemanden, der den ganzen Tag lang nur zornig und ärgerlich ist. Liebe,
Hass, Trauer oder Zorn, usw. sind die geistigen Zustände, welche durch
die situationsbedingt sind und sich ständig in den jeweils anderen Zustand verwandeln.
Der Buddha hat uns immer gelehrt, dass alles, was sich durch bedingtes Entstehen manifestiert hat, nichts 'Wirkliches' ist, sondern unbeständig und nicht wahrhaftig ist. Wir streben jedoch nur dem 'Unechten' hinterher und ignorieren dabei gänzlich die Existenz einer 'wahrhaftigen Wirklichkeit'. Wir nehmen uns alle Zeit, den ganzen Tag lang nur unseren Körper zu pflegen. Wir eignen uns alles an, vordergründig alles für geistiges Erleben, wie: Überlegenheit / Niederlage, Recht / Unrecht, Gut / Böse, Gewinn / Verlust, usw. und identifizieren uns mit all diesem kognitiven, mentalen Erleben, so, als ob dieser 'Ich-subjektive-Geist' uns selbst ausmacht. So denken wir etwa: „Ich bin gut.“, „Ich denke etwas Rechtes.“ bzw. „Ich bin schlecht.“, „Ich denke etwas Schlechtes“, „Ich bin traurig.“, „Ich bin fröhlich.“ und so weiter und so fort. Wir klammern uns an dem vergänglichen Geist fest und bilden daraus ein 'Ich': „Ich bin das und jenes.“, ein 'autorisiertes Ich' bzw. eine 'subjektive, autarke, autorisierte Person' entsteht. Alles wollen, um jeden Preis und die Hauptrolle spielt 'mein eigenes Ich'. Daher sind wir dem 'Ich' verfallen und zugleich haben wir damit unser eigenes, wahres Ich verloren. Überall ist von einem 'Verlorenen Ich' zu hören, ist das nicht bitterlich und bedauernswert?
Buddha
hatte gelehrt, dass die Lebewesen durch ihre 3 eigenen führenden Karmas
im Wiedergeburten-Kreislauf verfangen sind. Die 3 karmischen Aspekte sind
der Körper, der Mund und die Gedanken [bzw. den sechsten
Bewußtseinsbereich]. Wenn die Gedanken etwas Schlechtes denken, bringt
der Mund die bösen Worte zum Ausdruck, überredet den Körper, etwas
Boshaftes zu tun. Dafür führt ihr Karma sie in die entsprechenden
schlechten Daseinsbereiche [Gefängnis des Geistes, Geister und Tiere, …].
Wenn die Gedanken etwas Gutes flüstern, redet der Mund auch friedliche
Worte, der Körper unternimmt auch etwas Gutes. Ihr Karma führt sie in
die guten Daseinsbereiche [Menschen, Himmelswesen, Atula]. [Empfohlene
Literatur: 'Karma – Ursache und Wirkung': Dharma-Vortrag des
Ehrwürdigen Zen-Meisters Thích Tuệ Giác am 13.09.2008 in München.
Kostenlos zu erhalten bei: Bodhi-Kontinuum-Zen-Gruppe, Info unter: bodhikontinuum@gmx.de]
Eindeutig:
Hauptverursacher sind die Gedanken [der Geist], der das Karma schafft [genauer: der sechste Bewußtseinsbereich]. Das sind alle unsere
mentalen, psychischen Interaktionen, wie Trauer, Liebe, Zorn, Hass und
vieles mehr. Wenn wir auf dem Weg der Praxis, auf der Suche nach
Befreiung sind, um dem Geburten- und Sterben-Kreislauf zu entkommen, dann
ist ein Festhalten an diesem Geist gänzlich irreführend und wahre
Befreiung werden wir niemals erreichen. Wir sammeln dadurch höchstens
wertvolle 'gute bzw. schlechte Verdienste' oder wir werden von
karmischen Wirkungskräften auf gute bzw. ungünstigen Wege geführt
werden.
Am
Anfang des Praxiswegs üben wir eifrig, alles Schlechte und Böse
loszulassen. Beim nächsten Schritt üben wir auch, Rechtes, Gütiges
restlos 'loszulassen'. Das will aber niemand tun, wir halten das für zu
schade. Ja wieso denn? Jetzt sollen wir uns sogar vom 'Guten'
verabschieden? Gerade, weil wir auch das 'Gute' nicht loslassen können,
werden wir auf unserem Wege auch nur innerhalb des
Wiedergeburten-Kreislaufs herumirren. Solange wir unser Wahres Wesen noch
nicht entdeckt haben, können wir nicht die 'ewige Freude' erfahren. Auf
die Frage nach dem diesem 'Wahren Wesen', 'Wahren Dharma' entgegnete der
Sechste Patriarch dem Ehrwürdigen Minh wie folgt: „Während Du nichts
Gutes, nichts Schlechtes denkst, was ist dein 'ursprüngliches Wahres
Gesicht', 'Ur-Antlitz' in eben diesem Augenblick, lieber Ehrwürdiger
Minh?“ [„Nicht denkend 'gut', nicht denkend 'schlecht' – Was ist dein
ursprüngliches Antlitz in eben diesem Augenblick?“ – 'Das Sutra des
Sechsten Patriarchen' bzw. 'Sechsten Patriarchen – Podium des Dharma-Schatzes-Sutra']. Eines Tages,
wenn der Geist stets bewußt ist, stets erleuchtet, gar keiner mehr von
den 'schlechten und guten Gedanken' aufgewirbelt wird – wo gehen wir
dann hin? „In dem Moment, in dem kein Karma mehr erzeugt wird, sind wir
von Sterben und Wiedergeburt befreit – wohin werden wir noch gehen?“
Wir
ignorieren das Wahre Wesen, das wir alle bereits besitzen, dieses Wahre Wesen, welches kein Karma erschafft und auch nicht mehr vom Karma
verführt wird. Wir verwechseln es und identifizieren uns jedoch mit dem
verwirrten Geist, welcher der Wiedergeburt und dem Sterbeprozess
unterworfen ist, mit dem ständig Karma erschaffen wird und lassen unser
Wahres Gesicht dadurch verdunkeln. Das 'ursprüngliche Wahre Gesicht'
bedeutet hier unser 'ursprüngliches, ureigenes Wahres Gesicht' bzw. 'Antlitz', das seit Urzeiten und auch im jetzigen, gegenwärtigen
Augenblick vorhanden ist. Leider wurde dieses Wahre Gesicht durch die
illusorischen Denk-Impulse – gütige wie böswillige – verdeckt. Eines
Tages, wenn sie alle keine Spur mehr hinterlassen, wird das 'Wahre Gesicht' an Ort und Stelle erscheinen.
Wenn
der Geist sich all der umgebenden Sinnesobjekte bewußt ist, jedoch
ohne sie zu unterscheiden und zu analysieren; anders ausgedrückt: ganz
am Anfang, wenn die Sinnesorgane gerade mit ihren Objekten in Berührung
kommen, während der Unterscheidungsvorgang [über gut, böse, Gewinn und
Verlust, …] noch nicht in Bewegung gesetzt ist, existiert noch eine
reine, klare Bewußtheit, immer präsent und stets in erhabener Ruhe.
Aber sobald die ersten Unterscheidungsaktivitäten [darunter der sechste Bewußtseinsbereich] dominant in Gang gesetzt worden sind, wird diese
Bewußtheit sofort temporär in den Hintergrund gedrängt, verschwindet aber nicht etwa. Wenn der Unterscheidungsgeist den illusorischen
Denkimpulsen hinterher jagt, 'flüchtet' sich der 'Ur-Allzeit-Wahre-Geist' währenddessen in den Hintergrund. Aber sobald
die illusorischen Denkimpulse aufgehört haben zu wirbeln, wird sofort
der 'Ur-Allzeit-Wahre-Geist' wieder zum Vorschein kommen. Daher hören
wir oft von Zen-Meistern etwas, wie: „Nur weil Sie sich über 'Ihre
Existenz' nicht bewußt sind, bedeutet das nicht, dass sie deswegen
nicht existieren.“
Wir
hören, sehen, denken, … 'ganz gewöhnlich' wie alle Anderen, uns fehlt
nichts während des Sehens, während des Hörens und Denkens, …, aber
trotzdem 'klagen' wir: „Wo versteckt sich meine Buddha-Natur?“, bzw.
„Wieso können wir 'sie' nicht sehen?“. In der Tat 'sie' ist 'immer
direkt vor unserer Nase', weil sie uns stets 'innelebt', wozu sollten
wir noch mühsam irgendwo außerhalb danach suchen?
Während
der ZaZen-Sitzung, wenn wir nicht schläfrig, nicht träumerisch sind, sondern uns innerlich aller gedanklichen Impulse bewußt sind,
wie sie entstehen und vergehen, andauernd hochkommen und durcheinander
gewirbelt werden usw., bedeutet das, dass wir währenddessen trotz allem
immer noch wach, munter sind, aber kognitiv noch dabei erfahren, dass
wir uns in einem völlig klaren Bewußtseinszustand befinden. Diese reine
Bewußtheit ist weder bewegliche, noch statische Stille, weder entsteht
sie, noch verlischt sie, wie das bei den illusorischen Denkimpulsen der
Fall ist. Wir besitzen somit bereits in uns den unerschütterlichen Geist der frei von Geburt und Sterben ist. All die 'verwirrten' Denkimpulse erschaffen Karmas, wandern durch kontinuierliches Entstehen und Verlöschen im
endlosen Sterbe- und Wiedergeburten-Kreislauf herum, die 'un-verwirrten'
dagegen nicht. Daher ist es nur nötig, dass wir in der Lage sind, zurück
zum 'Un-verwirrten Geist' zurückzukehren. Wenn wir mit ihm 'vereint' im
Einklang leben, haben wir uns bereits aus dem Sterbe- und
Wiedergeburten-Kreislauf befreit – wozu denn noch irgendwo 'draußen' danach suchen? Daher wird oft im internen Zen-Kreis folgender
legendärer Spruch verbreitet: ”Auf dem Rücken eines Büffels reitend,
sucht man nach einem Büffel.“ bzw. ”Den Buddha auf dem Rücken tragend ist
man auf der Suche nach dem Buddha.“
Daher
steht bereits im Lotus-Sutra niedergeschrieben: „Einst gab es einen
bettelarmen Mann. Als er einmal betrunken war, wurde ihm von einem
Freund ein edles Juwel geschenkt. Er steckte es einfach so in seine
Tasche und ging so in die Welt hinaus. Da er oft betrunken war, vergaß
er, dass er bereits ein Juwel in der Tasche trug. Er wanderte irrend
weiter durch die Gegend – weiterhin in Armut –, bis er eines Tages seinen
alten Freund wieder traf, der direkt auf seine Tasche zeigte. Da
erinnerte er sich wieder, dass er doch die ganze Zeit ein Juwel bei sich
getragen hatte. Diese literarische Legende weist uns darauf hin, dass
wir oft nicht unser eigenes wahres, wertvolles Vermögen anerkennen
wollen, stattdessen nur trügerischen Gebilden hinterherjagen.
Nochmals
möchte ich erwähnen, dass wir am Anfang des Praxiswegs uns eifrig darin
üben, uns von all dem 'Schlechten, Bösen' zu trennen. Beim nächsten
Schritt lassen wir auch das 'Rechte, Gütige' restlos los. Wir kehren
zurück zu unserem eigenen formlosen Wahren Wesen, welches weder
entsteht noch vergeht. Wenn wir dem Weg des Zen folgen, ist 'Tu', die
empirische, spirituelle Zen-Praxis für uns keine leichte
Herausforderung, vielmehr ist es eine sehr vornehmliche, exzellente
Selbstbeherrschung der meisterlichen Kategorie.
Es
sieht so aus, als ob alle Wünsche unseres Lebens nur darauf gerichtet
sind, den kleineren Zielen hinterher zu folgen: etwa einem noch besseren,
wohlhabenderen Schicksal, Reichtum und Status, usw. als wir bisher
erreicht haben. Dabei haben wir vielleicht eines vergessen: Selbst wenn
all das, was wir uns gewünscht haben, tatsächlich auch in Erfüllung
ginge, bzw. wir alles erreicht haben, bedeutet das nicht gleich,
dass wir dem Glück auch tatsächlich nähergekommen sind, bzw. dass wir
tatsächlich damit glücklich sind. Warum? Weil dieser leibliche Körper
von vornherein in sich 'den Keim des Leids' trägt – im übertragenen und
tiefgründigen Sinne versteht sich. Gibt es jemanden, der mit
Sicherheit sagen kann, dass ihn niemals unerwartet eine tödliche
Krankheit heimsuchen kann? Gibt es jemanden, der das Altern und Sterben
abwenden kann? Alter, Krankheit und Tod sind bestimmt nichts
Erfreuliches, oder? Wir alle besitzen somit ausnahmslos einen Bescheid,
in dem ein Sterbe-Ultimatum festgesetzt und verkündet wurde, und die
Uhr läuft einfach so. Nur noch ein paar Jahre, paar Monate oder Tage.
Wie man die Frist bis zum Ende zählt, ist jedem selbst überlassen. Den
Weg des Alterns, der Krankheit und des Sterbens müssen wir alle – ohne
Ausnahme – gehen. Trotzdem sollten wir uns selbst die Frage stellen: Ist
das Leben, das mit einem Sterbe-Ultimatum versehen worden ist, etwas
Leidvolles oder Erfreuliches? Abermals davon unbeeindruckt, lassen wir
das Leben samt Tagen und Stunden sinnlos vergehen. Wir verhalten uns so,
als ob uns nichts interessiert, außer dieser Tag, dieser Moment, an dem wir
ignoranterweise noch euphorisch feiern können. Was morgen passiert, geht
uns scheinbar nichts an. Wenn wir noch nicht tiefgründig und weitläufig
vorausschauen können, sind wir noch teilweise verblendet, unsere
Weisheit ist somit noch nicht erweckt worden.
Die
spirituellen Praktiker teilen sich zumeist in zwei Gruppen auf: Die eine ist zutiefst von der bitterlichen Vergänglichkeit des Lebens an
sich betroffen, so dass sie permanent pessimistisch ist, sich selbst
leicht entmutigt und somit jeden Plan in ihrem Leben leicht aufgibt
bzw. fallen lässt. Dies ist eine sehr ungeschickte, eingeschränkte und
einseitige Sichtweise. Die andere erkennt zwar auch, dass das Leben vergänglich ist, aber dennoch ist sie lebensfroh, heiter und gelassen.
Für sie ist die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit des Lebens ein
Naturgesetz, eine natürliche Gewalt, die uns alle betrifft – niemand kann
dem entkommen. Wenn man diesem Weg aber nicht folgen will, muss
man eben einen ganz anderen Weg suchen. Allein die pessimistische
Haltung, wie gelähmt dasitzend und den Kopf hängen lassen, hilft nichts
und niemandem. Folgendes ist eine viel positivere Sichtweise und Haltung
eines schon geschickten Zen-Praktikers. Weshalb sind wir, wenn wir den
buddhistischen Mittleren Weg wählen, und alle weltlichen Phänomene
ganzheitlich untersuchen und erkennen, dass das Leben zwar 'leidvoll'
ist, trotzdem noch lebensfroh? Warum nur? Die empirische Erfahrung
bestätigt uns etwas Wichtiges: Dem sogenannten 'leidvollen Entstehenden
und Verlöschenden' lebt noch ein 'Allzeit-Wahres' inne, welches
weder entsteht noch vergeht, es ist stets und kontinuierlich in uns 'anwesend und innelebend'. Na dann, dumm sind wir ja nicht, wieso
lassen wir uns von dem Vergänglichen weiter verblenden und ignorieren
das Unvergängliche? Damit wir uns darüber beklagen, immer wieder
Leidvolles erleiden zu müssen? Nun ist zumindest bekannt, dass Buddhas-Weg auf keinen Fall pessimistisch ist. Ganz im Gegenteil: Wir sind sehr
optimistisch, heiter und lebensfroh, da wir das Leben aufrichtig
verehren und wertschätzen, mehr als je zuvor.
Ein
vorangegangener Zen-Buddhist, der seine Zen-Praxis stets meistert, ist
auch jemand, der stets an eigenen Fehlern arbeitet und sich selbst
verbessert. Seine eigene klare Bodhi-Geist-Erfahrung – das erleuchtete
Erwacht-Sein – will er nicht nur für sich behalten, sondern ist auch
gern bereit, die Erfahrung den nächsten Mitmenschen zu vermitteln,
so dass auch sie zum Erwachen gelangen. Denn es ist sinnlos, das Leben
so verschwenderisch und nichtsnutzig zu verleben, wenn wir ein ganzes
Leben lang in der Finsternis der Verblendung verweilen. Und zwar nicht
nur ein einziges Leben, sondern eines nach dem anderen, währenddessen sich so
sehr viel Leid ansammelt. Daher hatte uns der Buddha bereits aufgezeigt,
wie wertvoll es ist, überhaupt einen leiblichen Körper – wie diesen
hier – zu haben. Es ist eine große Rarität, dass überhaupt ein
menschliches Leben zustande kommt, so extrem unwahrscheinlich, wie es in
einem legendären Beispiel aus den Sutren sinnbildlich dargestellt wird:
„Auf der Meeresoberfläche treibt seit anfanglosen Zeiten ein
ausgehöhlter Baumstamm ziellos hin und her. Eine blinde Schildkröte
taucht alle hundert Jahre nur ein einziges Mal aus der Tiefe des
Meeresbodens an die Wasseroberfläche auf, um weiter zum Sandstrand zu
kommen. Die blinde Schildkröte landet nun ausgerechnet in dem Moment – mitten auf dem Meer – genau so im Hohlraum des bereits vermoderten
Baumstammes, dass sie mit diesem Baumstamm als Floß alsbald am
Strandufer landet.“
Wir
wissen sehr wohl, dass dieser leibliche Körper einerseits unbeständig
und der Vergänglichkeit unterworfen ist. Andererseits jedoch kann er
sehr wertvoll sein, wenn wir ihn geschickt, mit Bedacht und sinnvoll für
'Tu Thiền' / die 'spirituelle Zen-Praxis' einsetzen. Dann werden wir
dem ewigen Strom des Sterbens- und Wiedergeburtenkreislaufs für immer
entfliehen. Wir werden den Wahren Dharma-Körper vervollkommnen. So
ähnlich wie die blinde Schildkröte: Dank des Baumstamms gelangt sie
erleichtert ans Ufer. Jeden Tag, an dem wir noch am Leben sind, werden
wir erwacht und friedlich sein. An jedem Lebenstag, an dem wir noch am
Leben sind, werden wir fröhlich lernen, das Leben zu schätzen. Die
aufrichtige, innere Freude werden wir erst erfahren, wenn wir nicht mehr
verwirrt unterscheiden: 'da gut und dort böse' usw. Wie sieht diese
innere Freude aus? Wenn die gedanklichen Impulse wie 'Gut und Böse …', usw. innerlich nicht mehr aufgewirbelt werden, widerspiegelt sich unser
friedlicher, klarer Geist nach außen und somit strahlen unsere
Gesichtszüge freudige, frische Klarheit aus, eine wahrhaftige Freude.
„Hihi! Ha! Ha! Ha!“, Gelächter bis zur Ohnmacht. Die bis zur Ekstase erstrebte Freude sind vergängliche Freuden des Weltlichen. Wenn sie
aber nicht der Weisheit entspringen, werden sie flüchtig und
vorübergehend sein und nicht wahrhaftig.
Weltliche Menschen jedoch suchen gezielt ihre Freude in immer neuen, nervenkitzelnden Spektakeln, in erfinderischen Unterhaltungen, in Wettspielen um Gewinn und Verlust und so weiter und so fort. Hier nur ein kleines Beispiel: Beim Fußball klatschen und jubeln wir vor Freude über das glückhafte Tor der Sieger-Mannschaft mit, während die Verlierer sich in Trauer verlieren. Freude, die achtlos über die Trauer des Anderen hinwegsieht, ist einseitige und keine 'echte' Freude. Der Sieger feiert das Glück, der Verlierer versinkt verbittert in Trauer. Somit ist die weltliche Freude nur relativ. Freude und Trauer wechseln sich ständig gegenseitig ab. Die Freude wird nicht allein regieren.
Die
meisten jungen Leute – darunter sind auch Schüler und Studenten –, wenn
sie nur mit einem Ohr beiläufig hinhören, haben eine einseitige, falsche
Auffassung von 'Tu Thiền', der 'Zen-Praxis' etwa wie: ”Wenn man dem
Weg des Zen folgt, muss man auf alles verzichten, lässt man ja alles
fallen, verdummt man ja …” bzw. „Wenn man nicht als dümmlich dastehen
will, muss man sich soviel Wissen wie möglich in den Kopf stopfen, erst
dann wird man als großer Denker, als Intellektueller angesehen werden,
nur dann kommt man ja vorwärts …”. So etwa denken viele. In Wirklichkeit
ist dies jedoch nicht der Fall. Zen-Praktiker wissen, wie man
verwirrende und getrübte Denkimpulse fallen lässt, wie man von ihnen
nicht mehr aufgewirbelt und gestört wird, um sich auf ein bestimmtes
Aufgabengebiet bzw. eine bestimmte Tätigkeit, die man gerade tut richtig
zu konzentrieren. Wenn unser Geist fähig ist, nicht mehr abzuschweifen,
sondern sich aufrichtig und gezielt auf eine spezifische Aufgabe zu
konzentrieren, kann er nur schärfer und klarer werden. Dümmlich? Wie ist
das möglich? Das kann er nicht, das wird er nicht werden. Denn während
wir etwas zu lernen haben oder eine Aufgabe zu lösen haben, werden wir uns
auf das Lernen konzentrieren und nur darauf und werden nicht etwa
andauernd herum träumen bzw. die Gedanken herumschweifen lassen. Dann
ist es folgerichtig, dass wir um so mehr in der Lage sind, uns auf das
Lernen zu konzentrieren und umso effizienter und qualitätsvoller wird
unser Lernprozess sein. Somit können wir nur intelligenter, vernünftiger
und klarer werden, von 'dümmlich' kann hier nicht die Rede sein.
Ebenso, wenn wir bei einer Arbeit sind, werden wir uns nur auf das
Wesentliche der Zielaufgabe richtig konzentrieren, dann kann das
Ergebnis unserer Arbeit nur umso qualitätsvoller und ertragsreicher
werden.
Weil
die Menschen heutzutage nichts verpassen und nichts vergessen wollen,
gerade deshalb vergessen sie aber umso mehr. Ihr Gedächtnis gleicht
einer übervollen Kammer, die mit allem Möglichen überfüllt ist, so dass
es innerlich gluckert, schlackert und schon aus allen Nähten zu platzen
droht. Auf diese Weise ist das Gehirn überlastet, überfordert, zeigt
sich oft übermüdet und protestiert in Form von Aufnahmeunfähigkeit, es
will nichts mehr aufnehmen. Im Endeffekt ist daher das Gegenteil
vorprogrammiert: Je mehr man auf den Gedächtnisinhalt zurückgreift, um
sich an etwas zu erinnern, umso mehr vergisst man. Dagegen übt sich ein
geschickter Zen-Praktiker gekonnt in der 'Kunst des Loslassens'. Denn
je mehr er 'loslassen' kann, umso effizienter und gezielter kann er sich
an etwas zurückerinnern. Die Erinnerung geschieht dann so leicht und
natürlich, dass das erinnerte Ereignis mit voller Klarheit vor ihm
erscheint und er es überraschend detailliert wiedergeben kann.
Wenden
wir uns jetzt einem bekannten Phänomen zu: Wir sind völlig gestresst,
unsere Gedanken sind vollkommen durcheinander geworden durch so viele
verschiedene Aufgaben, wir vergessen vieles, eines nach dem Anderen.
Jetzt genügt eine kurze Zen-Übung. Wenn wir uns Zeit dafür nähmen, könnten wir uns wieder an das und jenes erinnern. Daher
berichten viele Anfänger, welche gerade mit ZaZen ['Tọa Thiền', vietn.] begonnen
haben, dass sie sich im Alltag nicht gut an Wesentliches erinnern
können, sich jedoch während des ZaZen an alles Mögliche erinnern. Nun
wollen sie wissen, ob es sich hier um einen Zen-Praxis-Fehler handelt?
Dazu habe ich ihnen erklärt, dass dies kein Fehler ist. In der täglichen
Arbeit wird der Geist häufig von stressigen Dingen überschattet, in
solch einem Wirrwarr können wir uns nur noch schwer an etwas Bestimmtes
erinnern. Aber sobald wir in die Zen-Übung 'eintreten', kommen reine
Stille und Klarheit wieder zum Vorschein, nun wird jede kleinste
Erscheinungsform bzw. jedes 'In-Erscheinung-Treten' der geistigen Aktivitäten auf der 'Leinwand des Geistes' sehr deutlich auffallen. Das
ist einer der Gründe, warum wir uns 'so leicht' an alles
Erdenkliche erinnern. Wenn wir aber dafür sorgten, dass wir uns der
Erinnerung bewußt sind, dass sie da ist, uns aber immer 'bewußt
bleibt' und wir sie als solche erkennen – als Erinnerung, als
wesenlosen Schein, nicht wahrhaftig und nicht 'echt' –, dann lassen wir
davon 'los', dann wird kein Grund für einen dauerhaften Fehler gelegt.
Wichtig ist aber, dass wir ihr [der Erinnerung, etc.] während des ZaZen
nicht 'nachfolgen'.
Selbst
der weltverehrte Buddha, als er einst am Bodhi-Baum sitzend meditierte bis er vollkommene Erleuchtung erlangte, verwirklichte auch unzählige
transzendente Wunder ['Thần Thông', vietn.]. Ein Bruchteil davon ist die
'Vollendete-Erleuchtete-Erkenntnis sämtlicher Vorleben' ['Túc Mạng
Minh', vietn.]. Der Erhabene Buddha konnte sich soweit zurück an unzählige
Vorleben mitsamt dazugehörigen Ereignissen erinnern, als ob diese
gerade gestern stattgefunden hätten. Während wir alles 'loslassen',
haben wir bei uns gedacht, werden wir alles vergessen, aber das
komplette Gegenteil ist der Fall: Wir erinnern uns besser daran als je
zuvor. Dagegen bringt das übliche mühsame Herumwühlen im Gedächtnislager
nicht viel hervor. Daher nennen wir unseren Geist in der buddhistischen
Terminologie allgemein eine 'Speicherkammer'. Eine Funktion des Geistes
nennen wir 'Speicher-Bewußtsein', indem alle unsere 'Samenkörner',
'schlechte' wie 'gute' aufbewahrt werden. Wenn aus diesem Speicher alle
gedanklichen Verwirrungen, Impulse der Unterscheidung und Beurteilung,
verwirrender Müll usw. hinaus 'gefegt' bzw. 'entsorgt' werden, wird
dieser Speicher sofort zum 'Tathagatha-Speicher' oder 'Buddha-Natur-
Speicher' usw. umgewandelt werden und nicht etwa in ein 'leeres
Nichts'.
Wir
können also während der 'Tu Thiền' / Zen-Praxis ruhig 'alles loslassen'.
Bitte denken wir nicht, dass wir deswegen alles verlieren. So ist es
nicht, sondern wir können selbst entscheiden, wann und ob wir uns an
etwas erinnern und dann erinnern wir uns klar und deutlich. Falls wir
das nicht wollen, bestimmen wir das auch selbst. Wenn jemand so weit
ist, gehört er zu denjenigen, die in der Lage sind, sich selbst und alle
Dharmas zu beherrschen. Im Leben wird er heiter und gelassen sein, wird
sich allen Umständen anpassen und allen verwirrenden Dharmas gegenüber
unerschütterlich bleiben können. Daher gilt für die fortgeschrittenen
Zen-Praktiker bzw. für interne bis meisterliche Kreise: Je exzellenter
und aufrichtiger ihre 'Thiền' / Zen-Praxis, desto beachtlicher ist das
Ergebnis, zum Beispiel wie bei den ehrwürdigen Zen-Mönchen der
meisterlichen Ebene. Die Meister achten kaum mehr auf 'Kleinigkeiten'
drumherum, jedoch, falls es wirklich nötig ist, durchblicken sie die
Lage, an Ort und Stelle deutlich und klar, ohne lange zu überlegen bzw.
lange herum grübeln zu müssen. Und wie sieht es bei uns aus? Wir wissen
nichts über das, was wir wissen sollten und all das Unwesentliche, was
für uns eigentlich unwichtig ist, kennen wir sehr detailliert. Diese
Angelegenheit spiegelt einen kleinen Unterschied zwischen uns und den ehrwürdigen Meistern wieder.
Als
Schlusswort für den heutigen Vortrag fasse ich kurz wie folgt zusammen:
Überprüfen wir genau, welche Aufgaben entscheidender und wichtiger
sind und kümmern wir uns aufrichtig darum; die die unwichtig sind,
lassen wir langsam los. Ein geschickter Zen-Praktizierender kehrt
immer wieder zu sich selbst zurück, spiegelt sich innerlich wieder,
erkennt, lebt und verwirklicht den eigenen wahrhaftigen Geist. Alles
andere ist unbeständig, vergänglich und nur flüchtiger Schein, davon
sollten wir unsere Aufmerksamkeit nicht ablenken lassen.
In
der täglichen Übung unseres Praxisweges als Zen-Praktizierender
erfahren wir alles empirisch. Jeder Schritt – wie klein er auch sein mag –,
den wir auf dem Weg des Erwachens gehen, ist bereits ein Schritt zur
Erkenntnis – zu dem Tor, das zur Erleuchtung und vollkommener Weisheit
führt. Daher ist die Überlegung, ob Zen 'dumm macht' oder 'vielleicht
nicht' – hin und her abwägen – überflüssig und endgültig unbegründet. ◄
***
Dharma-Vortrag vom 30.12.2000
in Da Lat - Bambuswald-Zen-Kloster
Thiền viện Trúc Lâm Đà Lạt, Vietnam
Erste deutsche Übersetzung aus dem Vietnamesischen von
Chính Tâm
Chính Tâm
Mit persönlicher Zustimmung des Obersten Abtes Zen-Meister
Thích Thanh Từ
Thích Thanh Từ
Originaltitel des Vortrages:
'THẾ GIAN CHÚ TÂM VIỆC NHỎ, BỎ VIỆC LỚN'
'THẾ GIAN CHÚ TÂM VIỆC NHỎ, BỎ VIỆC LỚN'
Titel des Übersetzers: 'Paradoxe Gegensätze'
Diese Übersetzung unterliegt strikt den
'8 Richtlinien für die buddhistischen Zen-Gelehrten und Sutren-Übersetzer'.
Diese Übersetzung unterliegt strikt den
'8 Richtlinien für die buddhistischen Zen-Gelehrten und Sutren-Übersetzer'.
Vaterstetten, Germany den 1. Januar 2009
Mitwirkung bei der deutschen Version von Barbara, Sandra, Mechthild, Michael
und Freunde der Hằng Giác - Bodhi Kontinuum Zen Gruppe
Yên Tử - Bambuswald Zen Tradition - Vietnamesischer Zen Buddhismus
und Freunde der Hằng Giác - Bodhi Kontinuum Zen Gruppe
Yên Tử - Bambuswald Zen Tradition - Vietnamesischer Zen Buddhismus
München, Germany den 19. April 2015
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