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"Jeder Tritt zertrümmert unzählige Buddha-Reiche !

Jeder Blick verstummt ganzes Dharmakaya !"

Freitag, 24. Februar 2012

VIETNAMESISCHER ZEN BUDDHISMUS IN DEN LETZTEN JAHRZEHNTEN DES 20. JAHRHUNDERTS




DER WEGWEISER FÜR METHODIK UND PRAXIS DES ZEN [1]
['Buddhayana Zen', 'Zen des Obersten-Wagens',
'Patriarchen-Zen', 'Zen des Brüllenden-Löwen'] [2]

Allgemeiner Hintergrund über die historische, kontinuierliche Übertragungslinie 
und die heutige Praxisform des vietnamesischen Zen-Buddhismus.

Thích Thanh Từ

NAMO SAKYAMUNI BUDDHA

Wenn wir über die vietnamesische Zen-Tradition in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts [3] sprechen oder in Betracht ziehen, meinen wir eine kontinuierliche, langlebige Tradition, die im Zen-Kloster Chân Không [1970–1986] und im Zen-Klosterzentrum Thường Chiếu [1974–1991] [4], die von uns [Thích Thanh Từ] [5] gegründet wurden und bis zum heutigen Tage ausgeübt wird.

Wir wiederholen und verfolgen nicht die Lehrmeinungen und Praxisformen der späteren, mit der Zeit verzweigten, chinesischen Zen-Traditionen wie 'Tào Ðộng', 'Lâm Tế', 'Quy Ngưỡng', 'Vân Môn', 'Pháp Nhãn' [6]. Aus der über tausend-jährigen geschichtlichen Tradition, seit der Entstehung bis zum kontinuierlichen Fortbestehen der Zen-Traditionen vom damaligen China bis Vietnam – haben wir nur drei von den wichtigsten und bedeutendsten 'Meilensteinen' ausgewählt. Der erste Meilenstein ist der Zweite Patriarch Huệ Khả [7], der zweite Meilenstein ist der Sechste Patriarch Huệ Năng [8] und der dritte Meilenstein ist der Erste Gründer Patriarch Trúc Lâm [9]. Nach aufwendiger Durchsicht und tiefgründlicher Erwägung entschieden wir uns dafür, die innerste Essenz der Weisheit, die Erleuchtung und deren didaktische Anwendung in der Zen-Praxis in einem einheitlichen 'Mittleren-Weg' zu vereinigen. Aus diesem entstand die kristallisierte methodische Zen-Praxis für alle unsere Zen-Klöster-Zentren.


1. Zweite Patriarch Huệ Khả
2. Sechste Patriarch Huệ Năng
3. Erster Gründer-Patriarch Trúc Lâm

Vereinender Zen-Meister Thích Thanh Từ


Zu 1. Der Zweite Patriarch Huệ Khả
[494 – 601]

Nachdem Huệ Khả vom Ur-Patriarchen Mönch Bodhidharma [10] als Schüler aufgenommen wurde, quälte er sich immer noch mit seinem verwirrtem Geist während der ZaZen [Tọa Thiền]-Praxis. Eines Tages äußerte er vor Bodhidharma seine Besorgnis:

– „Verehrter Meister! – Mein Geist bleibt nicht still! Ich habe eine dringliche Bitte, zeigst Du mir bitte eine Methode, den Geist zu stillen?“[11]

Patriarch Bodhidharma schaute ihm ins Gesicht und sagte:
– „Das werde ich für Dich tun: Zeig mir doch Deinen Geist her!?“

Davon war Huệ Khả sehr überrascht, reflektierte für einen Moment in Stille und suchte nach seinem Geist. Vergeblich, auf einmal war dieser ganz und gar spurlos verschwunden! 

Er antwortete:
– „Ich kann meinen Geist nicht wiederfinden!“


Darauf, sagte der Patriarch zu ihm:
– „Da! Gerade habe ich Deinen Geist für Dich gestillt!“

Auf einmal, an Ort und Stelle erkannte Huệ Khả, worum es geht und wo das 'Eingangstor' ist [12]

Huệ Khả's 'Eingangstor-Erkennung' an sich ist eine 'Dharma-Praxis – Ohne-Dharma', ein 'Eingangstor-ohne-Tor' ['Dharma-Adharma'].

Schon seit jeher betrachten wir die stets unterscheidenden und verwirrten Gedanken, als ob diese uns selbst gehörten. Bei Huệ Khả war es auch nicht anders, es war immer dasselbe, eine 'sich ständig wiederholende Prozedur'. Deswegen sind wir besorgt, wenn wir bei unserem ZaZen/ Tọa Thiền [13] es nicht schaffen, den Geist gemäß unserem Willen, auch nur für eine Weile 'still zu halten'. Deswegen ist es für diejenigen, die ernsthaft auf der Suche sind nach einer Dharma-Praxis um den 'Geist still zu halten', eine sehr dringliche Sache – besonders für diejenigen, die sich mit großer Entschlossenheit dem 'Weg der Praxis' widmen.

Hierzu hat Bodhidharma keine einzige Methode gezeigt, sondern nur gesagt: „… zeig mir doch Deinen Geist her!?“. Dies ist ein 'Donnerschlag', der auf einmal, ganz und gar, die seit der Urzeit bestehende Unwissenheit Huệ Khả's vertreibt.

Üblicherweise akzeptieren wir unsere Identifikation mit dem, was ständig etwas denkt. Es ist so, als ob dieser ein fester Bestandteil unseres eigenen Bewußtseins wäre [ohne weiter nachzuforschen]. Wir folgen wehrlos seinen mächtigen Befehlen. Aber sobald wir uns plötzlich auf die Suche nach seinen Spuren machen, 'verschwindet' der Geist auf einmal, wie weggezaubert und hinterlässt keinerlei Spuren. Nachdem der verwirrte Geist keine Spuren mehr hinterlässt, ist unser Geist/Bewußtsein klar und still, oder?

Daher lehrt der Patriarch: „Da – gerade habe ich Deinen Geist für Dich gestillt!“ Huệ Khả musste geistig soweit hellwach und so klar gewesen sein, dass er begriff, was der Patriarch hier gemeint hatte. Denn er erkannte damit das 'Eingangstor'.

Hat damit der Patriarch Bodhidharma irgendeine methodische Praxis für 'das Stillen des Geistes' gezeigt? Falls nicht, weshalb hatte Huệ Khả dann das 'Eingangstor' erkannt? Eindeutig: Dies ist ein 'Stillen des Geistes Dharma – Ohne Dharma' [14].

Sobald wir das 'Licht des Prajna' ['Weisheitslicht' – 'Ánh sáng Trí Tuệ'] auf den verwirrenden Geist ['Vọng Tâm'] ausrichten/projizieren, um diesen zu durchleuchten, um zu erkennen, zu schauen, wie seine eigentliche Gestalt aussieht, verschwindet er sofort. In der Zen-Terminologie nennt man das "Reflektierung / Rückspiegelung / Rück-Fokussierung / Introversion“ [15], u.a. … Wir sagen dazu: "Der Gedanken bewußt – ihnen nicht folgen!"

Wieso wird bei allen 'Zen-Stammhäusern' dieser ständig denkende, unterscheidende Geist nicht geduldet? Weil wir unvermeidlich folgende Fehler begehen, wenn wir ihn 'akzeptieren':
  1. Dieser denkende Geist ist nichts Kontinuierliches, sondern er ist mal da, mal nicht da; dagegen sind wir körperlich und mit unserem Bewußtsein im Wesentlichen kontinuierlich präsent. Wenn wir uns mit ihm identifizieren, sind wir im Dasein, aber was ist im Fall, wenn wir uns nicht mit ihm identifizieren? Existieren wir dann etwa nicht mehr? [16]
  2. Gewöhnlicherweise pendelt 'dieser denkende Geist' hin und her, aber sobald wir diesen rück-reflektieren, auf der Suche nach 'ihm' sind, verschwindet er, so dass weder eine Spur, noch eine Gestalt zu erkennen sind. Wenn dieser wirklich das 'Ich' wäre, wirklich unsere Wahre Natur, dann müsste er kontinuierlich da und jederzeit anwesend sein. Aber nein, im Gegenteil: Sobald er gesucht wird, entschwindet er spurlos. In der Tat ist dieser nur eine Art von imaginärer Abbildung, ein flüchtiger Impuls und trügerischer Schatten. Da wir uns mit dem trügerischen Schatten identifizieren, akzeptieren wir ihn als unser eigenes 'Ich', 'das Selbst', 'die Wahre Natur', usw. Dies ist für die Menschheit eine recht schmerzhafte und leidvolle Täuschung.
  3. Nach wie vor glauben wir alle, dass das 'Ich' im jetzigen Moment dasselbe ist, wie das 'Ich' des vorigen Moments und immer noch dasselbe 'Ich' im zukünftigen Moment sein wird. Wir sind ein einheitliches Eins, von der Kindheit bis zum Greisenalter. Aber dieser, 'unser' denkende Geist, welcher überhäuft ist mit verwirrenden Abbildern und Unterscheidungen, zeigt sich uns, wie wir alle wissen, in hunderten und tausenden Seiten und Facetten. Im verschiedenen Denken sind wir einmal wie ein gütiger Heiliger, einmal wie ein Tiger, ein andermal wie Wölfe, usw. und so fort. Und Jetzt ? Wer und was von alldem sind wir eigentlich?
  4. Während des Denkens wissen wir, dass wir über etwas nachdenken. Wenn wir aber nicht denken, wissen wir auch, dass wir nicht beim Denken sind. Dieser 'etwas Denkende' ist also ein Objekt unserer Bewußtheit. Wenn von einem Objekt die Rede ist, ist dieses ein 'flüchtiger Gast' zu nennen, welcher kommt und geht und sicherlich nicht 'der Hausherr', das 'Ich', das 'Wahre Selbst', usw. Wenn wir von dem 'etwas Denkenden' annehmen, dass es tatsächlich das 'Ich' ist, unser 'Wahres Selbst' [das, was 'Wir' sind], was ist dann der Fall, wenn wir nicht denken? „Wer“ weiß über "wen“, dass hier 'etwas nicht denkt'??? Wenn da noch „Einer“, dem 'etwas bewußt' ist, existiert, und zwar auch während des Nicht-Denkens, wie könnten wir uns noch mit dem, was stets 'etwas Denkendes' ist, als 'Alleinigem', „unserem Wahren Selbst“ identifizieren?

Sich mit den falschen Schatten zu identifizieren, wird im buddhistischen Kanon als "man nimmt einen Feind auf und hält ihn für den eigenen Sohn“ bezeichnet. Die Folge davon ist eine unvorstellbare Katastrophe. Daher belehrt uns der Buddha mit all den vielen Belehrungsmitteln und der Dharma-Praxis, immer rund um diesen 'Dreh- und Angelpunkt' rotierend: “dem zerstreuten, verwirrten Geist einen Riegel vorzuschieben“. Etwa durch Achtsamkeit beim Sutren zitieren, beim konzentrierten Verinnerlichen von visualisierten Bildnissen des Buddha, beim ZaZen [Tọa Thiền], wo es das Ziel ist, den Rechten-Samadhi zu erreichen, usw. …

Was hier als Besonderheit des Zen-Pfades gilt, ist, dass die Patriarchen nicht Mittel von Gewalt und Unterdrückung benutzen, um mit dem verwirrten Geist 'umzugehen', ihn abzuhalten, ihn niederzudrücken, sondern nur mit voller Beleuchtungskraft der Erkenntnis beleuchten, bis man zum letztendlichen Schein seiner Manifestation vordringen, bis dieser in sich zusammenfällt und für die Untaten nicht mehr fähig ist. Und dafür genügt allein der Satz Bodhidharmas:

„Das werde ich für Dich tun, zeig mir doch Deinen Geist her!?“ Dies schildert vollständig den Wesenskern des obig genannten 'Dharma-Pfades'.

Jemand, der das 'Eingangstor' erkannt hat, ist noch lange nicht jemand, der zuhause angekommen ist. Noch eine lange Zeit wird vergehen, eine beachtliche Zeit wird nötig sein, um – wie eines Tages Huệ Khả – zu Bodhidharma sagen zu können:
– „Ab hier lasse ich nun endgültig alle Illusionen hinter mir!“

Daraufhin prüfte ihn Bodhidharma:
– „Fällst Du etwa in die völlig verlöschende Vernichtung, ins Nichts hinein?“[17]

Huệ Khả antworte:
– „ Ich falle nicht hinein!“

Bodhidharma fragte:
– „Wie hast Du das denn gemacht?“

Huệ Khả:
– „Mein Geist ist so rein und klar, fortwährend bin ich mir dessen bewußt. Mit all der Rederei ist es nicht zu erfassen, schon gar nicht wiederzugeben! Dies ist jenseits von allem Begrifflichen!“

Bodhidharma bestätigte:
– „Dies ist genau 'der Pfad'! Die Übertragungsessenz aller Buddhas! Hiermit endet Dein Zweifel!“

Erst hier an dieser Stelle gilt er ohne Zweifel zutreffend als ein „Heimkehrer, der daheim angekommen ist.“

Kurz vor seinem Hinscheiden bestätigte Bodhidharma nochmals den 'Erkenntnisstand' aller Schüler. Als Huệ Khả an der Reihe war, trat er aus der Reihe nur nach vorn, verbeugte sich dreimal, trat dann aber wieder zurück.

Bodhidharma bestätigte:
– „Du! Der Du das Rückenmark meines körperlichen Überrests erhältst!“

Wenn es um Wiedergabe und Interpretationen der letzten aller transzendentalen Dimensionen geht, wird weder sprachliches noch begriffliches mehr 'zugelassen'. Da Sprache und Begriffe nur Mittel sind, verbleiben diese auf 'der Seite' des 'Relativen' und sind niemals fähig, 'darüber hinaus' zu gehen, also 'das Wahre Absolute' wiederzugeben. Damals wurde auf Huệ Khả das Buddha-Gewand und die Bettelschale übertragen und er galt als der Zweite Patriarch im Reich der Mitte.



Zu 2. Der Sechste Patriarch Huệ Năng
[638 – 713]

Die erste 'Blitz-Erkenntnis' [18] des Patriarchen Huệ Năng erfolgte durch das Hören des Prajnaparamita Diamant-Sutra [19], nachdem er mit Erlaubnis des Fünften Patriarchen Hoằng Nhẫn dessen Privatzimmer betreten hatte und über 'Das Diamant-Sutra' unterrichtet worden war. An der Stelle, wo der ehrwürdige Subhuti fragte: “Während man den Bodhicita-Geist ernsthaft zu erwecken sucht, um den höchsten vollkommenen, unübertrefflichen 'Anuttara-Samyak-Sambodhi-cita'-Geist [Cita: 'Geist'] zu erlangen, auf welche Weise ist der Geist zu beherrschen?“

Da antwortete der Buddha:
– „Kein Stützen auf irgendeine Form! Auf keinen Klang, keinen Geruch, keinen Geschmack, nichts Berührbares, kein Objekt des Geistes – gar kein Dharma! Ganz und gar ohne jegliches Stützen auf irgendetwas, um jenen Geist zu erwecken!“

Somit geschah der Durchbruch. Huệ Năng erlangte plötzlich die 'Große Erleuchtung'. Vor lauter Bewunderung bricht es aus ihm heraus:

– „Oh Wunder! Wer hätte das schon gewusst!? Dass mein 'Ureigenes, Wahres Selbst' immer schon von sich selbst aus rein und klar gewesen ist!“

– „Oh Wunder! Wer hätte das schon gewusst!? Dass mein 'Ureigenes, Wahres Selbst' [Bản Tâm] immer schon von sich selbst aus, frei von Geburt und Tod, aus sich selbst heraus vollkommen und unerschütterlich gewesen ist!“

– „Oh Wunder! Wer hätte das schon gewusst!? Dass es immer schon so gewesen ist, dass mein 'Ureigenes, Wahres Selbst' alle Dharma hervorgebrachten hat!“

Der Fünfte Patriarch fügte hinzu:
– „Für denjenigen, dem sein 'Ureigenes, Wahres Selbst' ['Bản Tâm'] unerkannt bleibt, ist es doch sinnlos, Dharma zu erlernen! Falls andererseits: 'Dieser' [das 'Ureigene, Wahre Selbst'] erkennt und 'dieses' 'verwirklicht' hätte, würde er Erleuchteter / Weiser / Meister aller Devas, Menschen oder Buddha, usw. …genannt werden.“ Danach erhält Huệ Năng das Gewand und die Bettelschale Buddhas vom Fünften Patriarchen weitergereicht und übernimmt damit die Funktion des Sechsten Patriarchen.

Die kurz zusammengefasste Historie über Huệ Năngs Erleuchtungsmoment weist uns auf 'das Herz des Prajnaparamitas' hin. Falls man bei den 'Sechs Sinnesbereichen' nicht an ihren begehrten Objekt anhaftend bleibt [sich nicht auf sie stützen würde], man bereits auf dem Weg wäre, den höchsten vollkommenen, unübertrefflichen 'Anuttara-Samyak-Sambodhi-cita'-Geist zu erwecken. Der Sechste Patriarch bleibt aber nicht an der Stelle des Anhaftens und Stützens hängen, sondern dringt direkt in den Wesenskern seines eigenen „ewig von Geburt und Tod freien“ 'Reinen Geist' vor. Genau 'dieser Hausherr', jenseits aller transzendentalen Dimensionen, der 'Urgrund des Ur-Anfangs', auch 'Ur-Wahres-Gesicht', auch 'Dharma-Grund', etc. genannt, lebt bereits seit anfangslosen Zeiten in jedem von uns inne. Genau an dieser Stelle bis auf den Grund durchzublicken und 'dieses' 'lebendig zu erleben', gilt als 'Blitz-Erkenntnis' – als 'Dharma-Wesenskern-Erkennung' ["Blitz-Bodhi"]. Der Sechste Patriarch hatte diesen Stand erlangt und gemeistert, aber auch die sichere Weiterübertragung an die Nachkommen sowie didaktische Mittel angewandt und Lehrwerke entwickelt.

Er ergründete 'Drei Stützenlose Grundsätze' – „Tam Vô“ / 'Drei Leeren' [20]: [Nach dem Sechsten Patriarchen – Kommentar/Auslegung – 'Dharma Schätze-Podium-Sutra' – 'Pháp Bảo Ðàn-Kinh'. Teil: 'Samadhi-Weisheit']:
  1. 'Innen' / Subjekt: Sich von jeglichen imaginären Denkimpulsen, 'Außen' / gegenüber Objekt: von keinen äußeren Erscheinungsformen beeindrucken zu lassen. Dies ist die allgemeine Grundlage der Praxis: 'Vô Niệm' / Denkimpuls-Leere
  2. Sich nicht auf irgendein äußerliches Dharma, welches sich durch Form oder Nicht-Form manifestiert, stützen. Da Formlose-Dharmas gleich dem Ur-Reinen-Wahren-Dharma sind: 'Vô Tướng' / Formen-Leere
  3. Gegenüber allen Dharmas stets und kontinuierlich, sich nicht auf diese zu stützen, nicht an ihnen anhaftend bleiben, nicht innehaltend, in / mit nichts verharrend sein: 'Vô Trụ' / Verharren-Leere
  • Trübung: Sich von keinem Dharma trüben lassen.
  • Anhaftung: An keiner Form und Erscheinungen hängen bleiben oder anhaften.
  • Verharrung: Sich nicht auf Dharma stützen, nicht in / mit ihnen verharren.
Dies ist die 'Kompassnadel' des Sechsten Patriarchen. Sich nicht trüben zu lassen, nicht anzuhaften und zwar vor allem genau dort, wo die 'Sechs Sinneswahrnehmungsbereiche' in Kontakt mit den jeweils sechs dazugehörigen Objekten ['staubigen Dharma'] kommen, ist bereits 'Thiền Ðịnh / Dhyana / Samadhi / Zen'. Und zwar in direkter Konfrontation mit all den 'staubigen', verführerischen und trügerischen Weltbildern, mitten im jetzigen, weltlichen Leben, ohne flüchten zu müssen oder zu entkommen zu versuchen, um erst dann den Geist stillen zu können, wie es bei den üblichen Zen-Methoden der Fall ist.


Zu 3. Der Gründer-Patriarch Trúc Lâm
[1258 – 1308]

Unter der hervorragenden Ausbildung des Hof-Großgelehrten Tuệ Trung Thượng Sỹ [21] [Trần Tung – 1230–1291] hatte der König Trần Nhân Tông – als er noch ein Prinz war – bereits die tiefste Essenz des Zen vollkommen erkannt. Nachdem er seinen eigenen machtvollen königlichen Thron verließ, entschied er sich für ein besitzloses Leben als Mönch, unter dem Name 'Befreite Wolke – Der Häuptling' [Hương Vân - Ðại Ðầu Ðà]. Er hatte Zen-Schulen wie Vinidaruci, Vô Ngôn Thông, Thảo Ðường, welche damals in Vietnam verbreitet waren, gründlich systematisiert und vereinigt und gründete daraus die geeinigte Zen-Schule, die „Bambuswald - Yên Tử“ [Trúc Lâm Yên Tử] [22]. Dies ist eine völlig vietnamesische Zen-Schule, die authentisch, auf das Wesentliche konzentriert und für die Zen-Tradition maßgebend ist.

Wir stellen hier nur zwei Besonderheiten aus seinem Lehrgebäude als Standard für die Zen- Praxis vor: 

Die Erste ist dem 9 Strophen Vers 'Hier – Ja, Da – Nein' in zusammen gefasster Form [in der Originalfassung hat jeder Vers je vier Zeilen [23]]:


1 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein oder Nicht Sein? Streitsüchtige, nutzlose Mönche – Ihr verwundet Euch erst selber, dann andere. Ihr werdet richtig bitterlich enttäuscht werden! 

2 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein? Alles sind ewige leere Wörter!“ Und die Massen irren immer noch in dem wörtlich / begrifflichen Dschungel ['Lanze und Säbelwald'] herum. 

3 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein? Dafür wanderten sie durch Berge und Flüsse, letzten Endes führt die mühselige Suche in die Irre.“ 

4 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein vielleicht doch Nicht-Nicht-Sein? Zu weit weggerutscht, um zurückzukehren? Mit sinnloser Anstrengung und Alchemie, zu viel Wirbel um Nichts!“

5 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein? Falsche Erwartungen und Vorstellungen!“ 

6 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein? Statt das Mondlicht zu genießen, analysiert man den auf den Mond gerichteten Zeigefinger. Daher „bringen sie sich selbst zum Fallen auf den flachen, blanken Boden“. 

7 „Ob Ja – Nein, Sein oder Nicht Sein, die Soheit – Tathagatha“ ist und war „Einfach so! Immer so!“, Das 'Wahre-Selbst-Phänomen' ist doch „an sich selbst“ nirgends irgendwie verborgen sondern stets „direkt vor der Nase“! Worauf wartet man dann noch? Anstatt 'zuzugreifen'? 

8 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein? Flinke Schnäbel sind Wortverdreher und Sophisten, lauter Geschwätz, was für ein Lärm beim Tauziehen! 

9 „Hier – Ja, Da – Nein, Sein – Nicht Sein – Das letzte Ende ewige leidvolle Verzweiflung und Enttäuschung! Halt! „Lass all das ein für allemal hinter Dir! Schneidet das Tau messerscharf durch!“ „Ist man rundum befreit, wird man sehr heiter und dafür dankbar sein!“ 



Die dualistische Sichtweise führt die Leute in die Irre und ins Leid! 

  • Diese dualistische Sichtsweise ist in unzähligen Erscheinungsformen und Gegebenheiten vertreten, aber dennoch lassen sich alle erkennen: „Ja – Nein“, „Sein – Nicht-Sein“, samt „Nicht-Nicht-Sein“, „Recht – Unrecht“, „Überlegenheit – Schwäche“, „Vorteil – Nachteil“, „Wesentlich – Unbedeutsam“, „Gut – Böse“, „Gewinn – Verlust“, „Schön – Hässlich“, „Heil – Unheil“, … und so weiter und so fort …!
  • Diese dualistische Sichtsweise ist die Ursache aller endlosen Wortgefechte, der Keim von Streiterei und Krieg. Denn, wenn der Samen des Hasses keimt, so reifen die Früchte des Leides heran. Letztendlich bleibt dann das Tor zum Wahren Selbst verborgen.
  • Wer fähig ist 'loszulassen bzw. aufzugeben', auf das ganze dualistische Anhaften zu verzichten, „wird rundum befreit, sehr heiter und dankbar sein“! 
Genau an dieser Stelle, dem 9. Abschnitt des Verses findet man das, was der Zweite Patriarch einst benutzte, um seinen 'Erkenntnisstand' durch drei 'wortlose Verbeugungen' zum Ausdruck zu bringen. Nicht an dualistischen Sichtweisen haften zu bleiben, ist Grundlage des Zen, dem 'Mittleren Weg' des Buddhismus.

Der Zweite ist der Schlussvers eines berühmtes Gedichtes:

'Vergnügt auf dem Weg – mitten im Samsara'
kurz: "Der Weg im Samsara"
vom Gründer-Patriarch Trúc Lâm

”Hier Samsara, heiter auf Mittlerem Weg, lass alles 'So-Kommen' !
Wenn hungrig dann iss, ebenso müde, schlafen !
Schätze leuchten im Haus, suche nicht draußen !
Aller Schein mit 'leerer Geist' erblickt, so frage nicht nach Zen !"

Allein schon die letzten zwei Zeilen vereinen auf wunderbare Weise [sinnbildlich] die erleuchtete Erkenntnis, das Ziel der Belehrung und der Praxis des Sechsten Patriarchen.

'Der Edeljuwel', welcher im Haus bereits existiert, ist genau an jener Stelle zu finden, wo der Sechste Patriarch einst vor lauter Bewunderung ausrief: „Oh Wunder! Wer hätte das schon gedacht!? Dass mein 'Ureigenes, Wahres Selbst' immer schon von sich selbst aus rein und klar gewesen war!“ …

Zen ist:
'Trotz aller aufkommender Illusionen, 
einen ungetrübten Geist zu behalten.'


'Befleckte Gedanken' gibt es natürlich auch nicht mehr, da die Gedanken längst nicht mehr in Verwirrung sind. Ein ungetrübter, gereifter Bewußtseinszustand [Acita – Vô Tâm] lässt sich nicht mehr von äußerlichen imaginären Abbildern / Illusionen beeindrucken. Wenn wir kontinuierlich auf Formen verzichten, 'verschwinden' schließlich Formen ["Von allen Formen restlos leer geleert"]. Ohne einen getrübten Geist [Subjekt] ist ein Anhaften an irgendwelchen Objekten nicht mehr begründbar – mit dem Stützen [auf Dharma] verhält es sich eben so. Die letzten zwei Zeilen beinhalten die gesamten Grundsätze des Lehrgebäudes des Sechsten Patriarchen.

'Zen ist, sich von sämtlichen Abbildern und Illusionen nicht mehr beeindrucken zu lassen, nicht mehr daran hängen zu bleiben, nicht mehr daran anhaftend zu bleiben'. Dies ist der authentische, genau begründete Leitfaden des Sechsten Patriarchen.

'Befreite Wolke – Der Häuptling' hatte somit auf einer wunderbaren authentischen Weise die Erkenntnis des Erleuchteten und die Praxis seines Meisters – des Sechsten Patriarchen – erhalten und angewandt.

Wir sind die Praktizierenden der nachkommenden Generationen und dürfen uns schon geehrt fühlen, dass in Vietnam eine Zen-Strömung weiterübertragen wurde und fortlebt, welche noch die vollständige Struktur und Prägung des 'Siegeldruckes' Buddhas und der vorangegangenen Patriarchen aufweist. Sie haben auf exzellenteste Weise den Praxis-Wesenskern der Vorangegangenen aufgenommen und vereinigt. Sie ist würdig, als maßgebende Kompassnadel für uns, den vietnamesischen Zen-Praktizierenden, zu gelten.



Die Vereinigung:
Vereinender Zen-Meister Thích Thanh Từ

Wir vereinten wie folgt die Dharma-Praxis der drei obigen Patriarchen in einer konkreten methodischen Praxis [Hier befinden wir uns zunächst weiterhin auf dem 'theoretischen', richtungsweisenden Sektor – Anmerkung des Übersetzers]:

– Beim Zweiten Patriarchen setzen wir das 'Geist-Stillen-Dharma' ein.

Konkret bedeutet das: Erkennen wir ganz genau, sehen wir ein, dass der Unterscheidende Geist eigentlich auch Schein und Illusionen ist. Lassen wir uns nicht mehr davon täuschen, nicht mehr von Schein, Abbildern und Illusionen ziellos in die Irre führen. 

Daher sagen wir:

"Der Gedanken bewußt – ihnen nicht folgen".

Jedes Mal, auch wenn ein winzig kleines Abbild im Geist auftaucht, nehmen wir dieses ganz genau wahr. Wenn Ihr Praktizierende, einmal tiefgründig dieses letztendliche Wesen, welches von imaginärem Schein charakterisiert ist, erkennt, wird es von selbst verschwinden. Beim ZaZen [Tọa Thiền], genau wie bei all den Tätigkeiten des Alltages, nehmt Ihr mit klarem Bewußtsein alles ganz genau wahr, so wie es ist und nichts entwischen zu lassen. Irgendwann, werden wir eines Tages soweit sein wie der Zweite Patriarch, der einst sagte: „Ab hier lasse ich nun endgültig alle Illusionen hinter mir!“

Und doch „… rein und klar, fortwährend dessen bewußt. Mit all dem Gerede ist es nicht zu erfassen, schon gar nicht wiederzugeben!“ Dann seid Ihr 'Zuhause angekommen'!

Es ist leicht gesagt, imaginäre Abbilder, Illusionen und sämtliche Arten von anderen Verwirrungen hinter sich zu lassen, aber nicht so leicht dieses auch umzusetzen. Sobald etwas davon gerade aufgehört hat, taucht schon das Nächste auf, eines nach dem anderen, permanent erscheinen sie ständig abwechselnd auf der 'Geist-Leinwand', scheinbar ohne Ende. Ihr solltet schon sehr viel Ausdauer haben, mit unerschütterlicher Geduld stets zu beobachten, stets zu beleuchten. Erst dann werden sie abwechselnd langsam, einer nach dem anderen, nicht mehr so häufig vorkommen und der Erscheinungsintervall lässt auch an Intensität nach. Den flüchtigen Schein für den eigenen 'Wahren Geist' zu halten, ist Verblendung. Zu erkennen, dass der flüchtige Geist reine Illusion ist, da ist nichts Wahres daran, ist Erwachtes-Bewußt-Sein. Im Prinzip wird diese Dharma-Praxis, eine transzendentale Funktion der Weisheit [24] eingesetzt, um die 'Verfinsterung des Geistes, Tag ein, Tag aus, mit dem Licht fusionieren zu lassen', und mit nichts anderem, etwa einer Methode, mit gewaltsamem Mittel die Abbilder etc. „zu verformen“, „zu beseitigen“ oder gar „zu unterdrücken“. Daher nennen wir es 'Geist-Stillen-Dharma – Ohne Dharma', oder ein 'Eingangstor ohne Tor'. Sobald die Unwissenheit nicht mehr da ist, tauchen Abbilder und Illusionen nicht mehr auf, bleibt diese Funktion der Weisheit auch 'still', da ihre Arbeit erledigt ist. Wie es in der 'Zehnteiligen Bilderserie - Der Büffelhirt' bildlich dargestellt wird: Sobald der Büffel nicht mehr existiert, wird kein Hirte mehr benötigt. Wenn jetzt dieser Funktion der Weisheit keine Aufgaben mehr entgegensteht, vereint sich diese im Nu wieder mit seinem Ursprung, der transzendentalen, höchsten, vollkommenen Weisheit.

– Vom Sechsten Patriarchen setzen wir das "… die 'Sechs Sinneswahrnehmungsbereiche' nicht an den sechs jeweils entsprechenden Objekten anhaftend lassen" ein. Dies ist der Satz aus dem Prajnaparamita-Diamant-Sutra: 'Kein Stützen auf irgendeine Form! Keinen Klang, keinen Geruch … ', so wie der Fünfte Patriarch den Sechsten Patriarchen unterrichtet hatte. Aber wie ist es möglich, dass die 'Sechs Sinneswahrnehmungsbereiche' nicht an den sechs jeweils entsprechenden Objekten anhaften könnten? Hier muss natürlich Prajnaparamita-Weisheit eingesetzt werden, um zu erkennen, dass alle Dharma gegenseitig bedingt entstanden sind, nichts an sich wahrhaftig ist, alles ist unbeständig – wie Schein, wie Trugbilder. Daher nimmt in dem Dharma-Schätze-Sutra [Pháp Bảo Ðàn Kinh] der Prajnaparamita-Teil eine der wichtigsten Bedeutungen ein. Dank der Prajna-Weisheit-Beleuchtungskraft erkennen wir, dass alle Dharma bedingt entstanden sind, an sich kein Selbst besitzen, unbestimmt, unbeständig, vergänglich sind. Dadurch haftet der Geist nicht mehr an Formen, Tönen, Düften, … [so hat er es gelernt und eingesehen] und die Folge ist, dass die 'Sechs Sinneswahrnehmungsbereiche' jetzt nicht mehr, mit den sechs ihnen jeweils entsprechenden Objekten anhaften werden, so wie es immer der Fall war.
  • Trübung: Sich von keinem Dharma trüben lassen.
  • Anhaftung: An keiner Form und Erscheinungen hängen bleiben oder anhaften.
  • Verharrung: Sich nicht auf Dharma stützen, nicht in / mit ihnen verharren.

Dies ist die authentische, begründete Lehr-Hauptgrundlage des Sechsten Patriarchen.



Oder es gibt noch einen anderen Weg, wenn Ihr – Praktizierenden – selbst, wie einst der Sechste Patriarch, das eigene 'Wahre Selbst' erkennt, stets und kontinuierlich vereint mit dem eigenen 'Wahren Selbst ohne Geburt und Tod' 'lebt'. Es wird dann für all die trügerischen Abbilder, den sechs scheinbar zusammengefügten Objekten … keinen Platz mehr in eurem Geist geben und man wird sich auch nicht darum kümmern müssen. Beim Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen verlässt einen in keinem Atemzug das eigene 'Wahre Selbst'. Wenn dies der Fall ist, werdet Ihr richtig gelassen, selbstsicher und frei sein. Daher sagen wir: "Wenn hungrig dann iss, ebenso müde schlafen!"



– Bezüglich dem Gründer-Patriarchen Trúc Lâm wurde dies schon sehr deutlich im Vers „Hier – Ja, Da – Nein“ aufgezeigt. Dieser zeigt den 'Prajna-Geist' des Sechsten Patriarchen auf, dass alle Dharma trügerisch sind, vergänglich wie 'ein Hut aus Eis', 'ein Schuh aus Blumen', der sich nur für sehr kurze Zeit manifestiert, gerade noch ist es schön, im nächsten Moment schon verwelkt, nichts ist von Dauer. Wer krampfhaft versucht, alle solche Momente festzuhalten, ist wirklich sehr unklug. Alle dualistisch, bedingt-entstandenen Dharma sind nicht wahrhaftig, da sie zeitlich begrenzt sind, provisorisch, situationsbedingt und didaktisch aufgestellt. Wie ein Unkraut, eine Schlingpflanze, wie das Tau beim Tauziehen, wenn einmal "… Schneidet das Tau messerscharf durch!" "Ist man rundum befreit, wird man sehr heiter und dafür dankbar sein!“ Dies ist die wesentliche Bedeutung der letzten zwei Zeilen des obigen Verses [Hier Strophe Nr. 9].



Schon anzufangen zu überlegen, ist bereits dualistisch, auch nur ein Wort, gerade ausgesprochen, ist bereits dualistisch. Wenn nun alle dualistischen Vorgänge strickt abgeschnitten bleiben, wird es auch keine Abbilder / Illusionen aller Art mehr geben, die sich schleichend manifestieren. Auch kein einziges Wort wird mehr benötigt. Das bedeutet 'mit Zen vereint zu leben'.



– Jetzt ist der Vers „Hier Samsara, heiter auf Mittlerem Weg, lass alles 'So-Kommen' !“ dran. In den letzten beiden Zeilen heißt es:


"Schätze leuchten im Haus, suche nicht draußen !
Aller Schein mit 'leerer Geist' erblickt, so frage nicht nach Zen !"


Die bildliche Darstellung hier ist eindeutig. Wir bestätigen, dass dies genau der Moment ist, bei dem der Sechsten Patriarchen einst vor lauter Bewunderung ausbrach:

– „Oh Wunder! Wer hätte das schon gewusst!? Dass mein 'Ureigenes, Wahres Selbst' immer schon von sich selbst aus rein und klar gewesen war!“


Das tiefgründige Erkennen des eigenen 'Wahren Selbst' wird hier bildlich dargestellt als: Wenn man den mit keinem Schatz vergleichbaren, allerwertvollsten Juwel, der schon immer “bereits im Haus“ vorhanden war, entdeckt hat, wozu dann noch mühsam irgendwo außerhalb suchen!?



Erkennen wir einerseits, dass das eigene 'Wahre Selbst' von sich selbst aus rein und klar ist, jenseits von Geburt und Tod und vergleichen wir es andererseits mit einem kurzlebigen, vergänglichen Leib, dazu ein zerstreuter Geist mit lauter Abbildern samt trügerischen Illusionen. Erkennen wir erschreckend – erwachend, das sich daraus ergebende Resultat und stellen wir uns selbst die Frage, von welchem Wert dieser vergängliche Geist und Leib ist und welche Position er gegenüber der anderen Seite noch einnimmt?

Subjektiv betrachtet: Nicht an den Leib klammern, nicht an Illusionen haften, so als ob diese die wahre eigene Person wären.

Objektiv betrachtet: An all den Abbildern und Illusionen nicht mehr anhaftend bleiben.

Dies ist die Grundlage des Zen, Wurzel und Quelle der Buddha-Dharma-Lehre.



Hier setzen wir den 'gegenüber Illusionen ungetrübten Geist' als Standard für die Praxis ein ["Aller Schein mit 'leerer Geist' erblickt"]. Hier ist ausdrücklich zu betonen: 'leerer Geist' [25] bedeutet hier: 'leer' von einem verwirrten Geist, der ständig Scheinbildern und Illusionen, etc. hinterherjagt und bedeutet nicht, dass man 'ohne Geist', wie etwa regungslos, reflektionsunfähig und bewußtlos wie Holz und Stein dasteht. 'Ohne' bedeutet hier: ohne den trügerischen, vergänglichen Geist, aber dennoch ein 'Geist', der stets beleuchtet, reflektiert und sich kontinuierlich über sämtliches Geschehen bewußt ist und frei von 'Tod und Geburt', existiert. Für einen Praktizierenden, der Buddhas 'Mittlerem Weg' folgt, ist dies das 'Tor', das zur Befreiung führt und alle 'Tode und Geburten' hinter sich lässt.



Nachdem der Zweite Patriarch Huệ Khả den Wesenskern des 'Wahren Dharma' erkannt hatte, erhielt er vom Bodhidharma-Patriarchen noch vier 'Lankavatara-Sutra-Bände' überreicht, als maßgebendes Standardwerk zur Qualifikation – als eine Art 'Geist-Siegel' bezeichnet. Der Sechste Patriarch Huệ Năng erkennt den Wesenskern des 'Wahren Dharma' auch durch das Hören des 'Prajnaparamita-Diamant-Sutra'. Dies beweist einleuchtend die Tatsache, dass sich Zen und Buddhas Worte [26] gegenseitig ergänzen und unzertrennlich sind und nicht etwa unbegründet entstanden sind. Denn das Zen [Thiền] [27] ist die 'Kristallisation' des Buddha-Geistes und die kanonische Schriftensammlung, Belehrung, etc. [Dharma-Lehre] entstammen ursprünglich Buddhas mündlichen Worten. Wenn der Buddha sich zwischen Denken und Aussage nie widerspricht, wie könnte man Zen und Dharma-Lehre voneinander trennen? Wie könnten sie unabhängig voneinander existieren? Daher verstehen wir Zen und Dharma-Lehre als unzertrennliche Bestandteile der Praxis – als 'zwei Flügel eines Vogel' sozusagen.

           
Zur Verdeutlichung fassen wir nochmals die Vereinigung wie folgt zusammen:
  1. Der Gedanken bewußt [Erkennt die 'Abbilder / Illusionen'] [28], aber folgt ihnen nicht nach! Weil diese gedanklicher, illusorischer und imaginärer Schein sind. 
  2. Gegenüber allen aufkommenden Abbildern / Illusionen [Schein] 'ohne getrübten Geist' [29] bleiben! Weil diese aus provisorisch zusammengefügten Manifestationen resultieren, flüchtig und trügerisch sind. 
  3. Nicht an dualistischen Anhaftungen hängen bleiben. Weil Dualismus nicht zur Wahrheit führt. 
  4. Stets bewußt sein, kontinuierlich mit dem eigenen 'Wahren Selbst' leben, nicht dem Unwahren Schein hinterher folgen. Weil alles Unwahres Wiedergeburt verursacht. Das Wahre ist bereits die 'Wahre Befreiung'. 
Die Vier oben genannten, zusammengefassten, wegweisenden Richtlinien sind von uns aus verschiedenen Gründen nur als grobe Richtlinien zu betrachten, daher sind sie flexibele Wegweiser in der Zen-Praxis für die Zen-Praktizierenden. In der Realität wird bei der Zen-Praxis die Umsetzung von Fall zu Fall auch verschieden sein können, es hängt vom jeweiligen Aufnahmevermögen und vom tatsächlichen Entwicklungsstand des Zen-Praktizierenden ab, wonach sie ausgerichtet werden müssen. 

Es könnte aber auch so sein, Ihr Zen-Praktizierenden [30]: "Die oben genannten 4 Richtlinien könnt Ihr auch für Euch so flexibel halten und situationsangepasst umsetzen, aber empfehlenswert ist es, sie sorgfältig der Reihe nach anzuwenden".
NAMO SAKYAMUNI BUDDHA


[Auszüge aus dem Buch „Thiền tông Việt Nam cuối thế kỷ 20“,
Seite 46-61, Autor Thích Thanh Từ]



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FUSSNOTEN:

[1] 'Thiền-na': 'Dhyana' [sankr.], 'Thiền na' [vietn.], 'Zen-na' [jap. Umlaut], 'Chan-na' [chin. Umlaut], 'Son-na' [korea. Umlaut]; Kurz: 'Thiền', 'Zen', 'Chan', 'Son'. 
'Tông' [vietn.] – Hier:'Stammhaus/Schule' / 'Strömung'/'Tradition': mit bestimmter Prägung/Stil entwickelte oder entstandene Meinung/Lehrgebäude bzw. Schulrichtung. Der Vietnamesische Buddhismus ist Zen-Buddhismus [überwiegend vom Zen geprägt]. Siehe auch: 'METHODIK DES ZAZEN'

[2] Auch 'Zen des brüllenden Löwen' oder „Zen des obersten Wagens“, „Buddhayana-Zen“, "Patriarchen-Zen", u.a. genannt.

[3] Auszug aus dem Buch 'Thiền tông Việt nam cuối thế kỷ 20'. Seite 46-61 – Autor Thích Thanh Từ [1998]

[4] Bis zum heutigen Datum 2007 sind über 30 national und internationale, offizielle Tempelklöster und klösterliche Zen-Zentren entstanden. Siehe: www.thientongvietnam.net und www.bambuswaldzen.de/ZEN-KLOeSTER

[5] 'Hòa Thượng': Oberster Abt, Thiền Sư [vietn.] Zen-Meister. Siehe 'Thích Thanh Từ - Eine Biographie'. Unter: www.bambuswaldzen.de/OBERSTER-ABT

[6] ['Guiyang'], 'Linji' ['Rinzei'], 'Caodong' ['Soto'], 'Yünmen, 'Fayan'... Siehe Überlieferungslinie mit tabellarischer Darstellung.

[7] 'Hui Kha' [chin. Umlaut]:  ['der Weise / Fähige'], siehe Übertragungslinie mit tabellarischer Darstellung.

[8] 'Hui Neng' [chin. Umlaut]: War der sechste und letzte Patriarch des 'Ch´an' [vietn. 'Thien', jap. 'Zen'] in China. Siehe 'Dharma-Schätze-Sutra' – „Lục Tổ - Pháp Bảo Ðàn - Kinh“ [vietn.], oder „Liu-tsu-ta-shih fa-pao-t´an-ching“ [chin. Umlaut]: "Des Sechsten Patriarchen Sutra [gesprochen] vom Hohen Sitz des Dharma-Schatzes", auch „Podium-Sutra“ etc. Siehe Tabellen unter 'Patriarchen-Zen'; Zu empfehlende Zen-Literatur: 'Das Sutra des Sechsten Patriarchen'. Kommentar durch jap. Zen-Meister Soko Morinaga Roshi. Übersetzt von Ursula Jarand. Otto Willhelm Barth Verlag. I. Auflage 1989.

[9] Der Khương Tăng Hội [ca. 300 Jahre vor Bodhidharma] gilt als Ur-Zen Patriarch des vietnamesischen Buddhismus. Siehe Tabelle unter 'Patriarchen Zen' bei www.bambuswaldzen.de

[10] Siehe Tabelle und Buch 'Bi Yän Lu', ['Bích Nham Lục' – vietn.] der Autor Zen-Meister Yüan-Wu, Übersetzung aus dem chinesischen von Wilhelm Gundert [deutsche Ausgabe Leipzig, 1967 oder bei Marix Verlag, Wiesbaden 2005] bzw. von Ernst Schwarz, Bi-Yän-Lu, Koan-Sammlung vom Kösel Verlag 1999. Vietnamesischer Übersetzung von Thich Thanh Từ - Süd-Vietnam 1980.

[11] 'Um den Geist zu stillen / zu beherrschen / abzuschneiden', ein 'Dharma-Hindernisfreies Tor'?

[12] 'Pháp Môn' [vietn.] – 'Dharma-Hindernisfreies Tor' [Hier: 'Methodik', 'Lehre']

[13] 'ZaZen' [jap. Umlaut], 'Tọa-Thiền' [vietn.]: 'Sitz-Zen'; 'Tọa' - 'sitzend'.

[14] 'Dharma' [Sanskrit] ist ein multifunktionaler, sehr flexibler Begriff: „Das, was in sich selbst, durch sich selbst, an sich und als sein eigenes Gesetz existiert. <Natur> umschreibt alle Dinge sowohl menschlicher, als auch nicht-menschlicher Art. Hier im Satz: 'Methoden', 'Prinzip', 'Lehre' …

[15] „Der Vorgang, bei dem die 'Bewußtheit des Geistes' im Vordergrund / also dominant aktiv ist [anstatt der Denkimpulse], die Gelegenheit hat, sämtliches 'Geschehen' der 6. und 7. Funktion [Hier auf das Denken und dem Wahrnehmungsbereich bezogen] des Geist-Bewußtsein zu beleuchten und schließlich sich seiner selbst 'bewußt' ist“.

[16] Motto des Philosophen René Descartes: "Ich denke, also bin ich."; Darauf der Zen-Meister: „Ich denke nicht, wo bin ich denn dann?“

[17] Der Begriff 'nihilistisch' [sarkastisch gemeint] dient hier allerdings auch nur als eine zusätzliche Annäherung zum besseren Verständnis, um das mitschwingende Missverständnis, dass das 'Nirwana' die 'totale Vernichtung', 'Verlöschen' oder 'tödliche Leerheit' oder 'Nichts', etc. bedeuten würde, zu vermeiden.

[18] Bei fortgeschrittener Praxis wird über verschiedene Arten, Grade, Stadien und Intensitäten der 'Erkenntnis' mit deutlicheren Benennungen naheführender gelehrt.

[19] 'Das Diamant-Sutra' : 'Kinh Kim Cang' [vietn.].

[20] 'Tam Vô': [vietn.] 'Drei Stützenlose Grundsätze'.

[21] 'Thượng-Sỹ': Eines der höchst-ehrenwürdigsten Titel des damaligen königlichen Beamtensystems, hier für: 'Großer, Weiser Gelehrter'

[22] In der heutigen Quảng Ninh Provinz – Nord Vietnam; unter 'Trúc Lâm Yên Tử' [siehe Adressenliste].

[23] Hier in diesem Text hatte der Übersetzer mit persönlicher Zustimmung des Obersten Abtes Zen-Meisters Thích Thanh Từ – Autor des Buches – auf wörtliche Übersetzung verzichtet.

[24] 'Trí dụng'[vietn.]: 'Funktionale, entfaltete Weisheit'.

[25] 'Acita' [sankr.]: 'leerer Geist' bedeutet hier: ohne einen verwirrten Geist, der ständig Scheinbildern und Illusionen, etc. hinterherjagt und bedeutet nicht, dass man etwa regungslos, reflektierungsunfähig und bewußtlos, wie Holz und Stein dasteht. „leer“ bedeutet hier: „leer“ von dem trügerischen, vergänglichen Geist, aber gleichzeitig „noch ein jener Geist“, der stets beleuchtet, reflektiert und sich kontinuierlich über sämtliches Geschehen bewußt ist, frei von Geburt-Tod existierend ist …“.

[26]  'Dharma-Lehre': kanonische Schriftensammlung, Sutren 'Drei Körbe', etc.

[27] Gilt als die 'Geist-zu-Geist-Übertragung', welche 'außerhalb' der kanonischen Schriftensammlung und Sutren angenommen wird.

[28] 'Vọng tưởng' [vietn.]: 'herumdenken', auf [bestimmte] Objekte und Ziele gerichtete Gedanken; 'Zerstreuten Denkimpulsen bewußt, aber folgt ihnen nicht nach!' ['Der Gedanken bewußt – ihnen nicht folgen'].

[29] 'Vọng tâm' [vietn.]: 'Zerstreuter Geist', getrübter, unklarer, nach den Objekten jagender geistiger Bewußtseinszustand [geistig allgem.].

[30] 'Hành giả' [vietn.]: 'Reisender', Jemand, der 'praktiziert', hier: 'Zen-Praktizierender', 'Zen-Praktiker'.

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Titel der vietnamesischen Originalausgabe 
'Thiền Tông Việt Nam cuối thế kỷ 20'
Autor Thích Thanh Từ , Buch 1998. Seite 46 bis 61
Erste deutsche Übersetzung aus dem Vietnamesischen
von Chính Tâm

Juni 2007 Trúc Lâm Yên Tử - Việt Nam
Juni 2007 Vaterstetten - München

Mitwirkung bei der deutschen Version von Michael, Mechthild 
und Freunde der Bodhi Kontinuum Zen-Gruppe

Yên Tử  - Bambuswald Zen-Tradition
 Thiền Tông Trúc Lâm Yên Tử - Thiền Tông Việt Nam
Ðạo Tràng - Hằng Giác

München/Vaterstetten, im Februar 2015 / 2039
Letzte Aktualisierung: 15. Mai 2016 / 2560








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